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Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)

Titel: Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
Autoren: Nicholas Sparks
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der gesunden Hand über die Stirn, und sie wird rot. Auch auf dem Lenkrad ist Blut, und auf dem Armaturenbrett, überall rote Schlieren. Ich frage mich, wie viel Blut ich wohl verloren habe. »Ich weiß.«
    »Dein Arm ist gebrochen. Das Schlüsselbein auch. Und irgendetwas stimmt nicht mit deiner Schulter.«
    »Ich weiß«, sage ich noch einmal. Wenn ich blinzle, wird Ruth abwechselnd unscharf und wieder scharf.
    »Du musst ins Krankenhaus.«
    »Da stimme ich dir zu«, sage ich.
    »Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Bevor ich antworte, atme ich ein und aus. Lange Züge. »Ich mache mir auch Sorgen um mich«, sage ich schließlich.
    Meine Frau Ruth ist in Wahrheit nicht im Auto. Das ist mir bewusst. Sie starb vor neun Jahren, und an dem Tag kam das Leben für mich zum Stillstand. Ich hatte ihr vom Wohnzimmer aus zugerufen, und da sie keine Antwort gab, stand ich vom Sessel auf. Damals konnte ich noch ohne Gehhilfe laufen, wenn auch ziemlich langsam, und im Schlafzimmer entdeckte ich sie dann auf dem Fußboden, neben dem Bett, auf der rechten Seite liegend. Ich rief einen Krankenwagen und kniete mich neben sie. Ich drehte sie auf den Rücken und legte ihr die Finger an den Hals, spürte aber überhaupt nichts. Ich legte meinen Mund auf ihren und atmete ein und aus, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, und ich atmete, bis die Welt am Rand schwarz wurde, aber keine Reaktion. Ich küsste sie auf die Lippen und die Wangen und drückte sie an mich, bis der Krankenwagen kam. Ruth, über fünfundfünfzig Jahre lang meine Ehefrau, war gestor ben, und mit einem Schlag war alles, was ich geliebt hatte, gleichfalls fort.
    »Warum bist du hier?«, frage ich sie.
    »Was ist denn das für eine Frage? Deinetwegen.«
    Natürlich. »Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Das weiß ich nicht. Aber es ist dunkel. Ich glaube, du frierst.«
    »Ich friere immer.«
    »Nicht so.«
    »Stimmt«, sage ich. »Nicht so.«
    »Warum warst du überhaupt auf dieser Straße unterwegs? Wohin wolltest du?«
    Ich spiele mit dem Gedanken, mich zu bewegen, aber die Erinnerung an den Schmerz hält mich davon ab. »Das weißt du doch.«
    »Ja«, sagt sie. »Du wolltest nach Black Mountain. Wo wir unsere Flitterwochen verbracht haben.«
    »Ich wollte noch ein letztes Mal hinfahren. Morgen ist unser Jahrestag.«
    Sie antwortet nicht sofort. »Ich glaube, du wirst langsam senil. Wir haben im August geheiratet, nicht im Februar.«
    »Nicht der Jahrestag.« Ich erzähle ihr nicht, dass ich es nach Aussagen meines Arztes nicht mehr bis August schaffe. »Der andere«, sage ich stattdessen.
    »Wovon sprichst du? Es gibt keinen anderen Jahrestag. Nur den einen.«
    »Ich spreche von dem Tag, der mein Leben verändert hat. Dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal gesehen habe.«
    Wieder schweigt Ruth für einen Moment. Sie weiß, dass ich das ernst meine, aber im Gegensatz zu mir fällt es ihr schwer, solche Dinge auszusprechen. Sie hat mich leidenschaftlich geliebt, aber ich habe es an ihrem Gesichts ausdruck gemerkt, an ihren Berührungen, an den zarten Küs sen. Und als ich es am dringendsten brauchte, liebte sie mich auch mit dem geschriebenen Wort.
    »Es war am sechsten Februar 1 939«, sage ich. »Du warst mit deiner Mutter Elisabeth zum Einkaufen in der Stadt, und ihr beide betratet den Laden. Deine Mutter wollte deinem Vater einen Hut kaufen.«
    Sie lehnt sich im Sitz zurück, den Blick weiter auf mich gerichtet. »Du bist aus dem Hinterzimmer gekommen. Und kurz darauf folgte deine Mutter dir.«
    Ja, fällt mir plötzlich wieder ein, meine Mutter war mir tatsächlich gefolgt. Ruth hatte immer ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis.
    Wie die Familie meiner Mutter stammte auch die von Ruth aus Wien, aber sie waren erst zwei Monate vorher nach North Carolina eingewandert. Nach dem Anschluss Österreichs waren sie aus Wien geflohen. Ruths Vater Jakob Pfeffer, ein Professor für Kunstgeschichte, wusste, was der Aufstieg Hitlers für die Juden bedeutete, und er verkaufte den gesamten Besitz der Familie, um die erforderlichen Bestechungsgelder aufbringen und seiner Familie die Freiheit sichern zu können. Von der Schweiz aus reisten sie nach London und von dort nach New York, bis sie schließlich Greensboro erreichten. Ein Onkel von Jakob besaß ein paar Straßen von dem Geschäft meines Vaters entfernt eine kleine Möbelfabrik, und monatelang wohnten Ruth und ihre Familie in zwei engen Räumen über der Werkhalle. Ruth wurde von den
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