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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten
Autoren: H Coben
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bei den Männern in ihrem Leben hoffte sie, dass der heutige Besucher anders sein würde, dass er sie überzeugen und sie ihm seine Lösung abkaufen könnte.
    Sie öffnete die Tür, ohne zu fragen, wer da war.
    »Sind Sie Kimmy Dale?«
    Das Mädchen vor der Tür war jung. Vielleicht achtzehn, zwanzig Jahre alt. Nein, kein Zeuge Jehovas. Ihr fehlte dieses gehirnamputierte Lächeln. Einen Moment lang überlegte Kimmy, ob sie eine von Challys Neuen sein könnte, aber das passte nicht. Das Mädchen war keineswegs hässlich, aber sie war nicht Challys Stil. Chally stand auf Glanz und Glitter.
    »Wer sind Sie?«, fragte Kimmy.
    »Das spielt keine Rolle.«
    »Wie bitte?«
    Das Mädchen senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Kimmy erkannte etwas entfernt Vertrautes in dieser Geste wieder, und ihre Brust schnürte sich ein wenig zusammen.
    Das Mädchen sagte: »Sie kannten meine Mutter.«
    Kimmy spielte mit der Zigarette. »Ich kenne eine Menge Mütter.«
    »Meine Mutter«, sagte das Mädchen, »war Candace Potter.«
    Kimmy zuckte zusammen. Es war über fünfunddreißig Grad heiß, trotzdem schloss sie den Morgenmantel.
    »Darf ich reinkommen?«
    Hatte Kimmy ja gesagt? Sie wusste es nicht. Sie trat zur Seite, und das Mädchen schob sich an ihr vorbei.
    Kimmy sagte: »Ich versteh das nicht.«

    »Candace Potter war meine Mutter. Am Tag meiner Geburt hat sie mich zur Adoption freigegeben.«
    Kimmy versuchte, Haltung zu bewahren. Sie schloss die Eingangstür. »Wollen Sie was zu trinken?«
    »Nein, danke.«
    Die beiden Frauen sahen sich an. Kimmy verschränkte die Arme.
    »Ich weiß nicht genau, was Sie hier wollen«, sagte sie.
    Das Mädchen wirkte, als hätte sie die Rede geprobt. »Vor zwei Jahren habe ich erfahren, dass ich adoptiert worden bin. Ich liebe meine Adoptionsfamilie, also ziehen Sie bitte keine falschen Schlüsse. Ich habe zwei prima Schwestern und wunderbare Eltern. Sie waren sehr nett zu mir. Darum geht es nicht. Ich will nur … wenn man so etwas erfährt, will man mehr darüber wissen.«
    Kimmy nickte, ohne genau zu wissen warum.
    »Ich habe angefangen, mich zu erkundigen. Das war nicht einfach. Aber es gibt Gruppen, die adoptierten Kindern helfen, ihre leiblichen Eltern zu finden.«
    Kimmy nahm die Zigarette aus dem Mund. Sie zitterte. »Aber Sie wissen, dass Candi – ich meine, Ihre Mutter – Candace  …«
    » … dass sie tot ist? Ja, ich weiß. Sie ist ermordet worden. Das habe ich letzte Woche erfahren.«
    Kimmy bekam weiche Knie. Sie setzte sich. Erinnerungen stürzten auf sie ein. Schmerzhafte Erinnerungen.
    Candace Potter. Die in den Clubs unter dem Namen Candi Cane bekannt war.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte Kimmy.
    »Ich habe mit dem Polizisten gesprochen, der den Mord untersucht hat. Er heißt Max Darrow. Erinnern Sie sich an ihn?«
    Oh ja, sie erinnerte sich an den guten, alten Max. Sie hatte ihn schon vor dem Mord gekannt. Anfangs hatte Detective
Max Darrow gerade mal das Nötigste getan. Der Fall wurde nicht mit hoher Dringlichkeit behandelt. Tote Stripperin ohne Familie. Für Darrow war Candi nicht viel mehr gewesen als ein weiterer toter Kaktus in der Wüste. Kimmy hatte sich der Sache angenommen. Eine Hand wäscht die andere. Der Lauf der Welt.
    »Ja«, sagte Kimmy. »Ich erinnere mich an ihn.«
    »Er ist jetzt im Ruhestand. Er meinte, sie wüssten, wer sie umgebracht hat, sie wüssten aber nicht, wo er jetzt ist.«
    Kimmy spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. »Das ist lange her.«
    »Sie waren mit meiner Mutter befreundet?«
    Kimmy nickte. Sie erinnerte sich natürlich an alles. Candi war mehr als eine Freundin gewesen. Man trifft im Leben nicht viele Menschen, auf die man sich wirklich verlassen kann. Candi war so jemand gewesen – vielleicht der einzige Mensch seit über zwanzig Jahren in Kimmys Leben – Mama war gestorben, als sie zwölf war. Kimmy und dieses weiße Mädchen waren unzertrennlich gewesen. Eine Zeit lang waren sie unter dem Namen Pic und Sayers aufgetreten, wie in dem alten Film Freunde bis in den Tod. Und wie in dem Film war die Weiße dann gestorben.
    »War sie eine Prostituierte?«, fragte das Mädchen.
    Kimmy schüttelte den Kopf und sprach eine Lüge aus, die ihr wie die Wahrheit vorkam. »Niemals.«
    »Aber sie war Stripperin.«
    Kimmy antwortete nicht.
    »Ich will sie nicht verurteilen.«
    »Was wollen Sie dann?«
    »Ich will mehr über meine Mutter erfahren.«
    »Das ändert doch nichts mehr.«
    »Für mich schon.«
    Kimmy
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