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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra
Autoren: Christa Wolf
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dem starren Pferdehaar, dem rotgeäderten Gesicht, gab ihm Bescheid. Das Feuer flackerte die Wände hoch, was waren das für Steine. Ich sagte und war selbst verwundert, wie natürlich meine Stimme klang: Was sind denn das für Steine. Da entstand ein Schweigen, in das meine Stimme paßte; nun hatte sie genau den Raum gefunden, der für sie vorgesehen war.
    Was das für Steine waren? Ja sah ich die erst heute? Sie warfen trockne Scheite auf das Feuer, daß ich Licht bekam. Figuren? Ja. Vor undenklichen Zeiten aus dem Stein gehauen. Frauen, wenn ich recht sah. Ja. Eine Göttin in der Mitte, andre, die ihr opfern. Ich erkannte sie jetzt. Blumen lagen vor dem Stein, Wein, Gerstenähren. Killa sagte ehrfürchtig: Kybele. Ich sah Arisbe lächeln.
    Abends saß sie bei mir, als die andern schliefen. Wir sprachen rückhaltlos, freundlich und sachlich. Killa, sagte Arisbe, brauche es, den Stein mit einem Namen zu belegen. Die meisten brauchten es. Artemis, Kybele, Athene, wie auch immer. Nun, sollten sie es halten, wie sie wollten. Allmählich würden sie vielleicht die Namen, ohne es selbst zu merken, als Gleichnis nehmen. – Du meinst, die Steine stehn für etwas anderes. – Natürlich. Flehst du zum Apoll aus Holz? – Lange schon nicht mehr. Aber wofür stehn die Bilder? – Das fragt sich. Für das, was wir in uns nicht zu erkennen wagen, so scheintes mir. Was ich darüber denke, berede ich mit den wenigsten. Wozu die anderen verletzen. Oder stören. Zeit, wenn wir die hätten.
    Auf einmal merkte ich, daß mir mein Herz sehr weh tat. Ich würde wieder aufstehn, morgen schon, mit wiederbelebtem Herzen, das der Schmerz erreichte.
    Du meinst, Arisbe, der Mensch kann sich selbst nicht sehen. – So ist es. Er erträgt es nicht. Er braucht das fremde Abbild. – Und darin wird sich nie was ändern? Immer nur die Wiederkehr des Gleichen? Selbstfremdheit, Götzenbilder, Haß? – Ich weiß es nicht. Soviel weiß ich: Es gibt Zeitenlöcher. Dies ist so eines, hier und jetzt. Wir dürfen es nicht ungenutzt vergehen lassen.
    Da, endlich, hatte ich mein »Wir«.
    Nachts träumte ich, nach so vielen traumlos wüsten Nächten. Farben sah ich, Rot und Schwarz, Leben und Tod. Sie durchdrangen einander, kämpften nicht miteinander, wie ich es, sogar im Traum, erwartet hätte. Andauernd ihre Gestalt verändernd, ergaben sie andauernd neue Muster, die unglaublich schön sein konnten. Sie warn wie Wasser, wie ein Meer. In seiner Mitte sah ich eine helle Insel, der ich, im Traum – ich flog ja; ja, ich flog! – schnell näher kam. Was war dort. Was für ein Wesen. Ein Mensch? Ein Tier? Es leuchtete, wie nur Aineias in den Nächten leuchtet. Welche Freude. Dann Absturz, Windzug, Dunkelheit, Erwachen. Hekabe die Mutter. Mutter, sagte ich. Ich träume wieder. – Steh auf. Komm mit. Du wirst gebraucht. Sie hören nicht auf mich.
    Also konnte ich nicht bleiben? Hier, wo mir wohl war. War ich denn gesund! Killa hängte sich an mich,bettelte: Bleib doch! Ich sah Arisbe an, Anchises. Ja, ich mußte gehn.
    Hekabe führte mich geraden Weges in den Rat. Nein. Falsch. In jenen Saal, in dem früher Rat gehalten wurde. Wo jetzt, von König Priamos geleitet, Verschwörer beieinanderhockten. Sie wiesen uns zurück. Hekabe erklärte, alle Folgen, die daraus entstünden, daß man uns jetzt nicht einließ, hätten sie selbst zu tragen. Allen voran der König. Der Bote kam zurück: Wir sollten kommen. Aber nur kurz. Man habe keine Zeit. Immer, solange ich denken kann, war im Rat für wichtige Fragen keine Zeit.
    Zuerst konnte ich nicht hören, weil ich den Vater sah. Ein verfallner Mann. Kannte er mich? Dämmerte er dahin?
    Es ging also um Polyxena. Nein, um Troia. Nein um Achill das Vieh. Es ging darum, daß Polyxena den Achill in unsern Tempel locken sollte. In den Tempel des thymbraischen Apoll. Unter dem Vorwand, sich ihm zu vermählen. In meinem Kopfe jagten sich Vermutungen. Vermählen? Aber – Keine Sorge. Nur zum Schein. In Wirklichkeit –
    Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. In Wirklichkeit würde unser Bruder Paris hinter dem Götterbild, wo er verborgen war, hervorbrechen (hervorbrechen! So sprach Paris selbst!), und er würde Achill da treffen, wo er verletzlich war: an der Ferse. Wieso gerade dort. – Er hatte seinen wunden Punkt der Schwester Polyxena anvertraut. – Und Polyxena? – Spielte mit. Natürlich. Die? sagte Paris frech. Die freut sich drauf.
    Das bedeutet, ihr verwendet Polyxena als Lockvogel für Achill.
    Breites
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