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Karneval der Toten

Titel: Karneval der Toten
Autoren: M Grimes
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irgendwie nicht.«
    »Verständlich. Wissen Sie, man gewöhnt sich nie dran. Ich jedenfalls nicht.« Jury trank sein Bier.
    »Es hilft einem, zusammen mit dem Zeug hier« – Johnson hob sein Glas – »einigermaßen durch den Tag zu kommen.«
    »Manchmal frage ich mich, ob es nicht überhaupt der Zweck des Lebens ist, einigermaßen durchzukommen.«
    Wieder lachte Johnson und verfiel dann in Schweigen. Nach einer Weile sagte er: »Was auch der Sinn und Zweck sein mag, ich glaube nicht, dass wir darüber viel zu entscheiden haben.«
    Jury runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da zustimme oder nicht. Lassen Sie mich mal überlegen.«
    Johnson lächelte leise und ließ ihn überlegen.
    Jury sagte: »Wollen Sie damit sagen, wir werden von äußeren Faktoren bestimmt?«
    »Teilweise. Allerdings glaube ich, mehr von inneren Faktoren. Vom Unbewussten. Ich glaube, wir wissen die meiste Zeit gar nicht, warum wir das tun, was wir tun.«
    »Hmm.« Jury hatte gar nicht bemerkt, dass er die ganze Zeit auf sein leeres Glas gestarrt hatte, bis Johnson zu ihm meinte: »Kommen Sie, wir nehmen noch einen.« Er machte Trev, dem Barmann, ein Zeichen.
    Jury richtete sich auf. »Ich glaube, für mich ist es genug.«
    Johnson lachte wieder. »Nein, ist es nicht.« Er erhaschte Trevs Blick und ließ den Finger über den leeren Gläsern kreisen.
    Als die Getränke kamen, sagte Jury: »Was soll’s. Cheers!«
    »Cheers!« Der andere streckte die Hand aus. »Ich heiße übrigens Harry Johnson.«
    »Richard Jury.« Jury schüttelte ihm die Hand. »Manchmal denke ich, wir warten nur auf eine Geschichte.«
    »Eine Geschichte?«
    »Na, so wie damals, als wir noch Kinder waren. Nicht bloß zur Schlafenszeit, sondern zu jeder Zeit, auf eine Erzählung, die uns von allem weghebt. Selbst wenn wir es uns alles nur ausdenken. Das tun wir mit Träumen, behaupten manche Schlafexperten.«
    »Was tun wir?«
    »Ach, es heißt doch, Träume hätten keine Bedeutung, es wären bloß mentale Schlacken, Überreste aus den Trümmern des jeweiligen Tages. Dabei stellt sich aber doch die Frage: Wenn der Traum tatsächlich bedeutungslos ist und nur das Überbleibsel des Tages, was ist dann mit dem Erzählten? Warum sind Träume Geschichten? Ganz egal, ob die Bilder seltsam oder exotisch oder unwirklich sind – wieso ist da eine Geschichte, wieso folgen die Ereignisse aufeinander?«
    »Gute Frage.«
    »Die Traumexperten beantworten es damit, dass sie sagen, der Träumende liefert die Erzählung. Der Träumende erfindet die Geschichte selbst.«
    Darüber dachte Harry Johnson eine Weile nach, dann sagte er: »Aber kommt das nicht aufs Gleiche heraus? Der Traum bedeutet doch trotzdem etwas, weil der Träumende selbst die Bilder miteinander verbindet. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Absolut.«
    Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann sagte Harry Johnson: »Wenn Sie eine Geschichte hören wollen, ich erzähle Ihnen eine – obwohl ich sie nicht erklären und Ihnen auch nicht den Schluss verraten kann. Weil es nämlich keinen gibt.«
    »Hört sich interessant an.«
    »O, interessant ist sie, das kann man sagen.«
    »Erzählen Sie.«
    »Sie passierte einem Freund von mir. Er war der glücklichste Mensch, der mir je begegnet ist – man könnte fast sagen, er war vom Glück verfolgt -, und hat über Nacht alles verloren.«
    »O, verdammt. Sie meinen, bei einem Börsencrash oder so etwas in der Art?«
    »Nein, nein. Es ging nicht um Geld. Er hat tatsächlich alles verloren. Eines Morgens wachte er auf und fand sich ohne Frau, ohne Sohn wieder – selbst sein Hund war weg. Er wusste nicht, was passiert war, und natürlich glaubte ihm keiner. Er wusste überhaupt nicht, was er tun sollte, und spielte mit dem Gedanken, zur Polizei zu gehen. Doch was um alles in der Welt hätte er denen sagen sollen? Sie würden ihm nicht glauben, sie würden nicht glauben, dass die Frau, der Sohn und der Hund einfach verschwunden waren. Sie wissen ja, wie stur Polizisten manchmal sein können...«
    »Und ob ich das weiß.« Jury lächelte etwas irre vor sich hin.
    »Genau. Und Familien verschwinden ja nicht einfach so – ich meine, außer es kommt ein Psychopath daher und bringt sie alle um. Zu mir sagte er, er hätte das Gefühl, in einer Parallelwelt zu leben, als seien seine Frau und der Sohn in der einen und er selbst in der anderen.«
    »Was hat er dann gemacht?«
    »Er engagierte die besten Privatdetektive. Sie fanden nichts, keinen Hinweis. Es gab einfach keine Spur.«
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