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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition)
Autoren: John Lanchaster
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lokalen Maßstäben – reich. Ihr Reichtum ergab sich einfach und allein aus der Tatsache, dass sie in der Pepys Road wohnten. Sie waren reich, weil wie durch ein Wunder alle Häuser in der Straße nun Millionen von Pfund wert waren.
    Dadurch vollzog sich eine seltsame Verkehrung der Umstände. Bisher war die Pepys Road von der Art Leuten bewohnt worden, für die sie auch gebaut worden war: aufstrebende, nicht besonders wohlhabende Leute. Sie waren froh gewesen, hier leben zu können, und dass sie hier lebten, war ein Teil ihrer zielstrebigen Bemühungen, etwas Besseres aus sich zu machen und für sich selbst und ihre Familien mehr Wohlstand zu schaffen. Die Häuser selbst hatten in ihrem Leben nur einen Platz im Hintergrund eingenommen. Sie waren zwar ein wichtiger Teil des Lebens gewesen, aber eben nur die Bühne, auf der sich die Handlung abspielte, und nicht die Hauptdarsteller selbst. Jetzt aber wurden die Häuser für die Menschen, die bereits darin wohnten, so wertvoll und für die, die gerade erst einzogen, so teuer, dass die Gebäude selbst die Rolle von Hauptdarstellern übernahmen.
    All das geschah zunächst nur ganz allmählich. Die durchschnittlichen Preise krochen langsam nach oben und lagen zunächst bei wenigen Hunderttausend. Als dann die Beschäftigtender Finanzwelt die Gegend für sich entdeckten, stiegen die Immobilienpreise rasant. Es wurde üblich, den Leuten riesige Boni zu zahlen, die drei- oder viermal so hoch waren wie ihr eigentliches Jahreseinkommen und ein Vielfaches dessen betrugen, was ein englischer Durchschnittsbürger verdiente. In der Immobilienwelt brach eine allgemeine Hysterie aus. Ganz plötzlich gingen die Preise so steil nach oben, als hätten sie einen eigenen Willen. Es gab einen Satz, der jahrzehntelang überall zu hören war, einen sehr englischen Satz: »Hast du gehört, was die für das Haus unten in der Straße bekommen haben?« Anfänglich hatten die erstaunlich hohen Summen, über die man sprach, nur im Bereich von einigen Zehntausend gelegen. Dann erreichten sie ein Vielfaches von zehntausend. Dann wenige Hunderttausend, dann lagen sie im oberen Hunderttausenderbereich, und mittlerweile handelte es sich um siebenstellige Summen. Es wurde ganz normal, unentwegt über Immobilienpreise zu reden. Wenn man anfing, sich zu unterhalten, dauerte es nur wenige Minuten, bis unweigerlich das Gespräch auf dieses Thema kam. Immer wenn sich Leute trafen, versuchten sie erst eine Weile, sich zu beherrschen, um dann mit Erleichterung dem Wunsch nachzugeben, genau darüber zu sprechen.
    Es war wie in Texas zur Zeit des Ölrauschs, mit dem einzigen Unterschied, dass man kein Loch in den Boden bohren musste, um fossile Brennstoffe daraus hervorschießen zu lassen . Stattdessen saß man einfach nur da und schaute zu, wie der Wert des eigenen Hauses so schnell in die Höhe raste, dass einem schwindelig wurde. Sobald die Eltern zur Arbeit und die Kinder zur Schule gegangen waren, sah man tagsüber weniger Leute in der Straße, abgesehen von den Bauarbeitern. Doch andauernd wurde irgendetwas geliefert. Es schien, als wären die Häuser lebendig geworden, seit ihr Preis gestiegen war, und als hätten sie dadurch ihre eigenen Wünsche und Begierden entwickelt. Transporter von Berry Brothers & Rudd kamen, um Wein zu liefern, zwei oder drei verschiedene Hundesitter fuhren in ihren Autos vor, esgab Blumenlieferanten, Paketboten von Amazon, Fitnesstrainer, Putzfrauen, Klempner und Yogalehrer. Sie alle näherten sich den Häusern wie Bittsteller und wurden prompt von ihnen geschluckt. Leute kamen, um die Wäsche zu waschen oder zu reinigen, es kamen FedEx- und UPS-Lieferungen, Lieferungen von Hundebetten, Druckerfarbpatronen, Gartenstühlen, VintageFilmpostern, DVD-Bestellungen, eBay-Schnäppchen und Impulskäufen, und von Fahrrädern aus dem Versandhandel. Es kamen Leute zu den Häusern, um zu betteln, und es kamen Leute, die etwas verkaufen wollten (warme Decken zu Gunsten der Obdachlosen und die besten Energiedeals für die Hausbesitzer). Geschäftsleute, Fitnesstrainer und Handwerker verschwanden im Innern der Gebäude und kamen wieder heraus, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren. Die Häuser waren wie Menschen geworden, noch dazu sehr reiche Menschen: Sie gaben sich herrisch und gebieterisch, und hatten ihre ganz eigenen Bedürfnisse, deren Befriedigung sie schamlos einforderten. Andauernd befanden sich Bauarbeiter in der Straße, die mit der Wartung der Häuser beschäftigt waren. Sie
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