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Kalle Wirsch und die Wilde Utze

Kalle Wirsch und die Wilde Utze

Titel: Kalle Wirsch und die Wilde Utze
Autoren: Tilde Michels
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zum
Verlies der Meermenschen führte. Mit Schnauze und Flossen arbeitete die Robbe,
bis es ihr gelang, den Deckel aufzuklappen.
    Faules Wasser quoll von unten herauf, und es
dauerte eine Weile, bis die Robbe in der trüben Flut etwas unterscheiden
konnte.
    Dann sah sie Gestalten am Grund kauern, in
Gruppen zusammengedrängt, mit wirren grünen Haaren und fahlen Gesichtern.
Verängstigt schauten sie nach oben.
    »Kommt heraus!« rief die Robbe schnell. »Kulax
ist tot. Ihr seid frei.«
     
    Die Meermenschen wollten diesen Worten zuerst
nicht trauen. Ganz vorsichtig näherten sie sich der offenen Tür. Als sie aber
nicht Kulax’ Bauch, sondern das klare grüne Wasser über sich sahen, schwammen
sie einer nach dem andern hinauf in die Freiheit.
    Zuletzt kam die Uralte Meerfrau. Die ungewohnte
Bewegung fiel ihr schwer. Ein Umhang von Seetang und Muscheln hing ihr in
Fetzen über den Schultern. Ihr grünes Haar war von bleichen Fäden durchzogen.
Aber ihre Augen leuchteten klar und ungebrochen.

    Als sie von der Robbe erfahren hatte, wem sie
ihre Befreiung verdankte, schwamm sie mit allen Meermenschen — es waren hundert
oder mehr — zum Strand des Weißen Riffs.
     
    Tutulla entdeckte sie als erste. »Schau, Kalle
Wirsch, die Robbe hat’s geschafft. Die Meermenschen sind frei.«
    Die Uralte Meerfrau schwamm nahe ans Ufer heran
und bat: »Komm näher, Kalle Wirsch, ich will dir danken.«
    Aber Kalle Wirsch wehrte ab. »Nicht mir. Mir
allein wäre das niemals gelungen. Nicht ohne die Luftgeister und nicht ohne die
Robbe. — Und außerdem...« Er verstummte, sah die Uralte Meerfrau fest an und
fuhr dann fort: »Außerdem auch nicht ohne den Fährmann am See der Finsternis.«
    »Du meinst den Verbannten? Den Verräter?«
    Kalle Wirsch nickte. »Den meine ich. Seinetwegen
sind wir hierhergekommen.«
    Und er erzählte den Meermenschen alles, was er
mit dem Fährmann erlebt hatte.
    »Nehmt ihn wieder auf«, bat er. »Er hat es
verdient. Er hat sein Leben für mich gewagt. Ihr könnt ihm wieder trauen; er
ist kein Verräter mehr.«
    Alle Meermenschen hörten Kalle Wirschs
Erzählungen mit großer Bewegung an.
    »Er soll nicht länger verbannt sein«, riefen
sie, »er soll frei sein wie wir.«
    Da sagte auch die Uralte Meerfrau: »Er soll frei
sein.«
    Sie sandte einen Boten aus, um die verschlossene
Schleuse zu öffnen, die das Meer mit dem See der Finsternis verband. Durch
diesen Weg, den er vor langer Zeit als Verbannter genommen hatte, kehrte der
Fährmann heim zum Volk der Meermenschen.
     
    Kalle Wirschs Aufgabe war erfüllt. Jetzt drängte
es ihn, den Rückweg anzutreten.
    »Tutulla, Juke!« rief er. »Kommt, es ist Zeit
für uns. Wir wollen zum Festland rudern.«
    Juke schaute sich ein letztes Mal mit glänzenden
Augen um. »Das Meer, das Weiße Riff — ein großes Erlebnis! Nie werde ich es
vergessen.« Dann aber verzog er bekümmert sein Gesicht und sagte: »Nur das, was
die beiden Trumpe mit mir angestellt haben, will ich vergessen. — Bitte, Kalle
Wirsch, schicke Quarro und Querro nie mehr zu mir.«

    Kalle Wirsch lachte. »Da sei ganz unbesorgt,
Juke. Die zwei lassen sich bestimmt nicht mehr bei dir blicken.«
    »Und dem Salamander«, rief Tutulla, »dem wünsche
ich, daß es ihm mit seinem nächsten Herrn genauso geht wie mit den Wilden Utzen
und dem grausigen Kulax.«
    Kalle Wirsch hob die Hand zum Abschied und stieg
ins Boot. Tutulla ließ sich neben ihm nieder. Dann stieß der Kohlen-Juke ab,
und sie glitten hinaus auf das gleißende Wasser. Die Meermenschen begleiteten
das Boot noch ein Stück. Die Luftgeister aber verschwanden unbemerkt, wie sie
gekommen waren, und bald darauf lag das Weiße Riff wieder still und einsam im
Meer. Nur die Robbe war noch da. Sie sonnte sich wie vorher am Sandstrand und
blinzelte dem Boot nach, in dem der kleine König aus dem unterirdischen Reich
davonfuhr.

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