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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist
Autoren: Astrid Lindgren
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an ihre richtige Adresse schreiben?«
    Er holte ein Notizbuch aus seiner Hosentasche und schlug es auf. »Verzeichnis über verdächtige Personen« stand oben auf der einen Seite. Das Verzeichnis hatte früher eine ansehnliche Zahl von Personen umfaßt. Aber Kalle hatte sich trauernden Herzens genötigt gesehen, eine nach der anderen zu streichen, nachdem es ihm nicht gelungen war, etwas Verbrecherisches bei ihnen festzustellen. Im Augenblick gab es daher nur eine Person auf der Liste, und das war Onkel Einar. Sein Name war rot un-terstrichen, und darunter stand sehr genau seine Personalbeschreibung. Danach kam eine neue Rubrik: »Besonders verdächtige Umstände«. »Besitzt Dietrich und Taschenlampe«, stand da. Allerdings besaß Kalle selbst eine Taschenlampe, aber das war eine ganz andere Sache.
    Mit einiger Mühe fischte er einen Bleistiftstummel aus seiner Tasche, und mit einem Brett als Unterlage schrieb er folgenden Zusatz in sein Notizbuch: »Korrespondiert mit Fräulein Lola Hellberg, Stockholm, p. r.« Dann lief er zum nächsten Briefkasten und war in wenigen Sekunden zurück beim Zirkus »Kalottan«, wie das Zirkusunternehmen nach reiflicher Überlegung getauft worden war.
    »Was bedeutet das?« fragte Onkel Einar.
    »Ka für Kalle, Lott für Eva-Lotte und An für Anders, das ist doch klar«, sagte Eva-Lotte. »Im übrigen darfst du nicht zusehen, wenn wir proben.«
    »Das ist ein hartes Gebot«, sagte Onkel Einar. »Was soll ich den ganzen Tag anfangen?«
    »Geh zum Fluß runter und angle«, schlug Eva-Lotte vor.
    »Himmel! Willst du, daß ich einen Nervenzusammenbruch bekomme?«
    »Eine
sehr
unruhige Natur«, dachte Kalle.
    Eva-Lotte hatte jedoch kein Erbarmen. Sie jagte Onkel Einar mitleidlos fort. Und die Proben im Zirkus »Kalottan« wurden mit höchster Energie aufgenommen.
    Anders war der Stärkste und Geschickteste, und daher war es nicht mehr als recht und billig, daß er Zirkusdirektor wurde.
    »Aber etwas will ich auch bestimmen«, sagte Eva-Lotte.
    »Du bestimmst, wo es hinpaßt«, sagte Anders. »Bin ich Direktor, dann bin ich es.«
    Der Zirkusdirektor hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine wirklich feine Akrobatentruppe zu zeigen, und er zwang Kalle und Eva-Lotte, viele Stunden zu trainieren.
    »So!« sagte er schließlich zufrieden, als Eva-Lotte im blauen Gymnastikanzug lachend und aufrecht mit einem Fuß auf seiner und dem anderen Fuß auf Kalles Schulter stand. Die Jungen standen breitbeinig auf dem grünen Schaukelbrett, so daß Eva-Lotte etwas höher zu stehen kam, als sie es selbst gut fand. Aber es wäre ihr lieber gewesen, zu sterben, als zuzugeben, daß sie ein etwas unbehagliches Gefühl in der Magengegend hatte, wenn sie hinuntersah.
    »Es wäre mächtig fein, wenn du dich eine Weile auf die Hände stellen könntest«, preßte Anders hervor, während er versuchte fest zu stehen. »Das würde Erfolg haben!«
    »Es wäre mächtig fein, wenn du auf deinem eigenen Kopf sitzen könntest«, sagte Eva-Lotte kurz. »Das würde noch mehr Erfolg haben.«
    Da ertönte durch den Garten ein furchtbares Geheul, ein unmenschlicher Laut wie von einem Wesen in höchster Not.
    Eva-Lotte stieß einen Schrei aus und tat einen lebensgefährli-chen Sprung auf die Erde.
    »Was ist das?« fragte Eva-Lotte.
    Alle drei stürzten aus dem Zirkus. Einen Augenblick später kam ein graues Knäuel auf sie losgefahren. Es war das Knäuel, das die schrecklichen Töne ausstieß. Und das Knäuel war Tusse, Eva-Lottes Katze.
    »Tusse, o Tusse, was ist denn?« keuchte Eva-Lotte. Sie nahm die Katze, ohne sich darum zu kümmern, daß sie kratzte und biß.
    »Oh«, sagte Eva-Lotte, »jemand hat … Oh, das ist schändlich!
    Jemand hat ihr das hier angebunden, um sie zu Tode zu erschrecken.«
    An dem Schwanz der Katze war eine Schnur festgebunden, und an der Schnur hing eine Blechdose, die bei jedem Sprung furchtbar klapperte. Eva-Lotte strömten die Tränen herunter.
    »Wenn ich wüßte, wer das gemacht hat, dem würde ich …«
    Sie blickte auf. Zwei Schritte von ihr stand Onkel Einar. Er lachte vergnügt.
    »Ach, ach«, sagte er, »das war das Komischste, was ich je in meinem Leben gesehen habe.«
    Eva-Lotte stürzte auf ihn zu. »Hast du das getan?«
    »Was getan? Du großer Gott, was für Sprünge die Katze machen konnte. Warum hast du die Dose abgemacht?«
    Eva-Lotte stieß einen Schrei aus und stürzte sich auf ihn. Sie schlug ihn mit den Fäusten, wo sie nur hinkommen konnte, während die Tränen weiter über
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