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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben
Autoren: Charlotte Lyne
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Insel hat er nichts zu suchen!«
    »Aber der König braucht doch Geld für seinen Kreuzzug …«
    Die Amsel schüttelte den Kopf. »Was auch immer er braucht, er soll es sich holen, wo es ihm zusteht. Die Isle of Wight aber hat einer seiner Vorfahren den Baronen von Redvers für ihre Treue geschenkt, damit sie ohne Steuer und Scutage über sie regieren. So ist es noch heute. Auch wenn es keine Barone von Redvers mehr gibt.« Sie brach ab. Offenbar hatte sie bemerkt, dass sie ihren Gast überforderte. »Na komm«, sagte sie und nahm Magdalenes Arm. »Richten wir dir ein Lager her, ich mag über diesen Widerling nicht mehr sprechen.«
    »Du solltest ihn singen hören«, sagte Magdalene traurig. »Dann würdest du anders über ihn denken. Er singt ein Lied, davon zuckt es mir im Herzen, und auf einmal weiß ich, dass wir in dieser Welt beschützt sind. Verstehst du, was ich meine, oder spreche ich allzu dumm?«
    »Nicht allzu dumm«, sagte die Amsel. Es klang, als lächle sie.
    »Kein Mensch, der böse ist, kann so singen«, fuhr Magdalene eifrig fort. »Aber leider – seit wir auf der Insel sind, singt er keinen Ton mehr und rührt seine Laute nicht an.«
    Die Amsel hörte ihr nicht länger zu, sondern wandte sich ab und schlug ihr ein Bett auf. Wie bequem es war, erlebte Magdalene in der folgenden Nacht: Sie hatte selten so fürstlich geschlafen. Auch hatten ihr Käse, Zwiebeln, Brot und saurer Wein nie so köstlich geschmeckt wie in dem kleinen Haus, doch sie hatte auch noch nie ihren Herrn so vermisst. Er kam nicht wie sonst am Morgen, um nach ihnen zu sehen. Magdalene bekam ihn lediglich von Weitem zu Gesicht, als er in der Frühe mit dem Hund davonritt. Er wirkte grimmiger und entschlossener denn je.
    Sie machte sich in den Tagen, die sie in der Hütte verbrachten, nützlich, lernte von der Amsel, wie man Obst zu Sirup kochte. Keine andere Arbeit hatte ihr je so viel Freude bereitet. Es musste schön sein, in einem eigenen Häuschen zu wohnen, vom Land zu ernten, was man gesät hatte, und die Früchte seiner Arbeit auf den Tisch zu stellen. Wäre die Sorge um ihren Herrn nicht gewesen, hätte sie hier glücklich sein können.
    »Warum gehst du nicht schlafen?«, fragte die Amsel, wenn sie vor Kälte schlotternd vor der Tür kauerte und auf seine Rückkehr wartete.
    Magdalene schüttelte den Kopf. Sie würde nicht schlafen können, solange sie nicht wusste, dass auch ihr Herr hinter den schweigenden Mauern, die ihr den Zutritt verwehrten, schlief. Erst wenn sie Hund, Pferd und Reiter unter Sternen und Wolken vorbeifliegen sah, beruhigte sich ihr Herz.
    Dann kam die Nacht, in der der Hund allein zurückkehrte. In der Finsternis heulte er so grauenvoll, als hätte er den Tod eines Freundes zu beklagen. Magdalene vergaß alle Furcht vor dem Tier. Wie vom Teufel gehetzt jagte sie zu ihm und schrie vereint mit dem wilden Geschöpf.

2
    D
er Prior führe respektvoll aus, was ihm von seinem Abt aufgetragen wurde.« So stand es im fünfundsechzigsten Kapitel der Benediktsregel, so war es an diesem Morgen im Kapitelhaus verlesen worden.
    Während die Brüder gemessenen Schrittes aus dem Saal zogen, warf Abt Randulph seinem Prior einen Blick zu. »Respektvoll« war wohl kaum das erste Wort, das einem zu Bruder Francis einfiel. Der Bruder brach zwar keine Regel, doch er dachte sich seinen Teil. Dennoch oder gerade deshalb hatte Randulph mit ihm die richtige Wahl getroffen, als er ihn zu seinem Prior gemacht hatte. Er brauchte einen Mann neben sich, keine Puppe an Schnüren.
    Über das Wohl der Brüder zu wachen erforderte Entscheidungen, die Randulph an seine Grenzen trieben. Er betete täglich um Stärke, doch ohne den Austausch mit einem Mann wie Francis hätte die Bürde ihn zerbrochen. In seiner Jugend hatte er solch einen Ratgeber schon einmal gehabt – und ihn verloren. Er würde nie aufhören, ihn zu vermissen.
    Für das Problem, das Randulph auf der Seele lastete, konnte auch der Prior unmöglich eine ideale Lösung wissen, aber Randulph brauchte eine Rückversicherung. Als Francis sich zum Gehen wandte, bedeutete er ihm daher durch einen Wink mit dem Krummstab aus Buchenholz, dem Zeichen seiner Abtswürde, ihm zu folgen.
    Ohne ein Wort zu sprechen, verließen sie den Kapitelsaal und durchquerten den östlichen Flügel des Kreuzgangs, der das Herz der Abtei darstellte. Die herbe Frische des Morgens verriet, dass der Herbst schon in der Tür stand und dahinter der Winter mit seinen bitterkalten Nächten.
    In den
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