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Käptn Snieders groß in Fahrt

Käptn Snieders groß in Fahrt

Titel: Käptn Snieders groß in Fahrt
Autoren: Werner Schrader
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euch in den Kopf kommt? Wer hat überhaupt diesen ulkigen Zettel geschrieben? Das ist doch nicht deine Schrift!“
    „Nee?“ fragte Kluten. „Dann hat Rudi sie wohl vertauscht.“
    „Man sollte euch die Hosen strammziehen und den Hintern versohlen, daß ihr das Luftholen vergeßt, verdammt noch mal!“ Zum Glück mußte der zornige Herr Neumann an dieser Stelle seine Kanonade unterbrechen, weil das Telefon klingelte, sonst hätte es vielleicht doch noch ein paar Backpfeifen geregnet. Kluten benutzte die Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Wolfgang hatte den sonderbarsten Empfang. Seine Tante, Frau Besenhoff, fiel ihm um den Hals, als sei er von den Toten wiederauferstanden. Sie schluchzte und heulte und tat, als ob ihr vor Gram fast das Herz gebrochen wäre. Dem Jungen war das peinlich. Er konnte nicht glauben, daß seine Tante so tief bewegt war, und sträubte sich gegen ihre heftigen Umarmungen. Er konnte ja nicht wissen, daß die vergangenen beiden Tage die ersten in ihrem Leben gewesen waren, in denen sie sich einsam gefühlt hatte, in denen sie sich bewußt geworden war, daß sie jemanden verlieren konnte, den sie innig zu lieben begonnen hatte. Als sie sich endlich beruhigte und nach einem Taschentuch lief, um Nase und Augen zu wischen, entdeckte Wolfgang eine große Torte auf dem Tisch und davor ein Schild, auf das mit ungelenker Hand „Herzlich willkommen!“ geschrieben war. Er sah seiner Tante in das verweinte Gesicht und hatte plötzlich Mitleid mit dieser abgearbeiteten, einsamen Frau, die nur deshalb mit allen herummeckerte, weil das Glück dieser Welt immer einen Bogen um sie gemacht hatte.
    Er setzte sich an den Tisch und sagte: „Das ist aber eine prima Torte! Hab’ ich einen Hunger! Kann ich ein Stück haben?“
    Da sah er, wie das Strahlen in ihre Augen kam, wie sie schön wurde trotz ihres dünnen grauen Haars und der vorstehenden Backenknochen.
    „Aber ja doch!“ rief sie. „Ich habe sie ja für dich gebacken. Du kannst sie ganz allein aufessen.“
    Und schon begann sie mit Tellern, Tassen und Kaffeekannen zu hantieren.
    „Tante Ruth“, sagte Wolfgang, „darf ich Heini auch ein Stück bringen? Ich habe ihn doch zwei Tage nicht besucht.“
    „Natürlich darfst du das. Weißt du was, Junge, wenn du willst, bring’ ich euch die ganze Torte ’rüber, dann könnt ihr sie bei Brackwedes gemeinsam aufessen.“
    „Das ist eine Idee“, stimmte Wolfgang freudig zu. „Aber dann müssen Kluten und Max auch noch mitkommen. Die haben auch eine Schwäche für Torten.“
    Keine halbe Stunde später war in Heinis Zimmer der Tisch so festlich gedeckt wie zu einer Geburtstagsfeier. Drei Jungen saßen um ihn herum, einer lag im Bett, und einer steckte seine kleine Nase ungeniert durch das offene Fenster, sog den Kaffeeduft ein und sagte: „Menß, daß iß aber eine ßöne ßahnetorte!“ Und da bekam er natürlich auch ein Stück, der kleine Rudi, weil er die Zettel der Jungen so schön vertauscht hatte, die er zu ihren Eltern hatte bringen müssen. Vom Fenster aus durfte er mit anhören, was die drei Kap-Hoorn-Umsegler von ihrer Fahrt erzählten. Frau Besenhoff war nicht wiederzuerkennen. Sie lief mit Kaffee und Milch hin und her und war glücklich, daß man sie brauchte. Der Vormittag verging wie im Fluge.
    Längst saßen sie bei Pralinen und Keksen, die Frau Brackwede spendiert hatte. Frau Besenhoff hatte sich verabschiedet, um mit Käpten Snieders ein paar Worte zu sprechen, wie sie sagte, und Rudi war nach Hause geholt worden, weil er seiner Mutter beim Stapeln von Briketts helfen sollte.
    Da hielt der schwarze Wagen vor dem Haus, den die Dorfkinder schon einmal dort hatten stehen sehen. Ein gutgekleideter Herr stieg aus und trat an das Fenster.
    „Hallo, Jungs“, sagte er, „störe ich, oder darf ich euer Fest einen Augenblick unterbrechen?“
    „Guten Tag, Herr Latternicht“, rief Heini, „bitte kommen Sie doch herein, die Tür ist offen.“
    Gleich darauf trat der Herr ins Zimmer, eine schmale Aktenmappe in der Hand.
    „Das sind meine Freunde“, sagte Heini, „Wolfgang, Kluten und Max.“
    Herr Latternicht gab allen die Hand und setzte sich dann auf den Stuhl, den Wolfgang ihm anbot.

    „Wie sieht es aus, Heini, hast du wieder was fertig?“ fragte er. „Wir müssen uns beeilen, damit wir es bis zum ersten Oktober schaffen, das weißt du ja. Der Zeichner hat sich schon allerlei einfallen lassen. Dummerweise habe ich die Skizzen im Verlag vergessen. Ich werde dir aber
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