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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Autoren: Dirk Ahner
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behauptete standhaft, dass er ein »athletischer Typ« war, aber in dieser Hinsicht durfte man Müttern nicht trauen.
    Er ging hinunter in die Küche. Helena schlief noch, wie immer, wenn sie von ihrer Nachtschicht kam. Zu seiner Überraschung saß sein Vater mit der Zeitung auf dem Schoß und einem großen Becher Kaffee in der Hand am Esstisch. Cornelius war Ingenieur, ein großer bärtiger Mann mit augenzwinkerndem Humor und freundlichem Wesen. Jonathan mochte seinen Vater, auch wenn sie in vielen Punkten unterschiedlicher Ansicht waren. Cornelius hatte eine ausgeprägte Abneigung gegenüber allem, was sich nicht in Zahlen oder Fakten pressen ließ. Jonathan dagegen liebte es, sich in seine Büchern und Geschichten zu versenken und von Abenteuern zu träumen, die ihn aus dem Alltag seiner Welt entführten. Wenn Cornelius ihn mit einem fantastischen Roman in der Hand erwischte, kam es nicht selten vor, dass er tadelnd die Brauen hob und ihn ermahnte, den Kopf nicht zu tief in die Wolken zu stecken. »Das Leben«, pflegte er in solchen Momenten zu sagen, »findet hier unten auf dem Boden der Tatsachen statt, Jonathan.«
    Er trug noch das Hemd vom Vortag, seine Haare standen in alle Himmelsrichtungen, und in seinem kurzen grauen Bart hing ein Tropfen Milchschaum. Weil er sich unbeobachtet fühlte, hatte er die Füße auf den Tisch gelegt. Als Jonathan in die Küche kam, nahm er sie rasch herunter.
    »Verdammt, da ist doch wieder der Tisch unter meine Füße gerutscht«, knurrte er.
    Jonathan grinste. Er fand es lustig, wenn sein Vater sich bemühte, ihm ein gutes Vorbild zu sein.
    »Entspann dich, Papa. Ich verrate dich garantiert nicht.«
    Er riss eine Packung Sandwichtoast auf. Cornelius runzelte die Stirn.
    »Schon wieder Weißmehl? Jonathan, du weißt doch, dass Weißmehl aus kurzkettigen Kohlehydraten besteht …«
    »… und diese Kohlehydranten …«
    »Kohle hydrate! «, warf Cornelius ein.
    Grinsend strich Jonathan Marmelade auf seinen Toast. Er liebte es, seinen Vater aufzuziehen. Cornelius’ nerviges Gerede über gesunde Ernährung konnte er auswendig nachbeten.
    »… diese Kohle hydrate werden direkt in Zucker umgewandelt, sie machen nicht satt, nur dick, morgens muss man was Anständiges essen und überhaupt. Willst du nicht mal eine neue Platte auflegen?«
    »Iss das Müsli!«, beharrte sein Vater.
    Jonathan warf einen Blick auf die Schüssel, in der Cornelius etwas angerührt hatte, das seiner Vorstellung von einem gesunden Frühstück entsprach: eine zähe graue Masse, die wie Schleim vom Löffel tropfte.
    »Sieht aus wie ein misslungenes Experiment. Oder ein neuer Sprengstoff.«
    »Jonathan …« Cornelius wollte den strengen Vater spielen, doch das misslang gründlich. »Ich gebe ja zu, ein besonders erhebender Anblick ist es nicht. Aber es enthält wertvolle Inhaltsstoffe …«
    »Papa!«, stöhnte Jonathan.
    »Ich weiß, ich klinge wie die Fernsehwerbung.« Seufzend legte sein Vater die Zeitung zur Seite und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Die Nacht vor den großen Ferien. Hast du wenigstens gut geschlafen?«
    Jonathan zögerte. Unweigerlich überkam ihn die Erinnerung an vergangene Nacht. Ein Bild durchzuckte ihn: lange Fingernägel auf seiner Haut. Er schüttelte sich.
    »Ja«, sagte er wenig überzeugend. »Ich dachte, du kommst erst heute Mittag zurück.«
    »Ich habe den Nachtzug genommen. Ich wollte dich nicht zu lang allein lassen.«
    Allein lassen …
    Ja, er war gestern Nacht allein zu Hause gewesen. Jonathan konnte sich erinnern – und ein neues Bild blitzte auf. Er sah das Gesicht einer Frau, bleich wie das Mondlicht, das unter einem Netz dürrer Haare hervorleuchtete.
    Vergiss, was du gesehen hast!, zischte sie.
    Irgendetwas war geschehen gestern Nacht. Aber was? Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, nur geträumt zu haben. Es fühlte sich zu real an. Und zu allem Übel wurden die Bilder plötzlich klarer, anstatt langsam zu verblassen, wie es bei normalen Träumen üblich war.
    »Wann bist du zurückgekommen?«, fragte er seinen Vater.
    »So gegen sechs Uhr morgens.«
    Jonathan konnte das Unbehagen nicht länger ignorieren. »Papa … war da irgendwas? Ich meine, hast du irgendwas Komisches gesehen?«
    Cornelius’ Stirn legte sich in Falten, wie immer, wenn er vermutete, dass Jonathan etwas angestellt hatte.
    »Was meinst du mit komisch ? Komisch wie deine Freunde, die mitten in der Nacht Steine an unser Schlafzimmerfenster werfen? Oder komisch wie meine Unterschrift
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