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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Autoren: Dirk Ahner
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durchtränkte die Wolken. Bald würde sich die Nacht dahinter breitmachen.
    * * *
    Von gewitterumwölkter Stille begleitet schlich die Finsternis über die Stadt, bis hinein in Jonathans Zimmer. Als es dunkel war, drapierte er seine Bettdecke, sodass es aussah, als ob er darin schlief. Er zog sich seine Jacke über und schlüpfte in feste Schuhe. Lautlos stahl er sich aus seinem Zimmer in den Flur. Es war kurz nach elf, und im Wohnzimmer lief der Fernseher. Schritte seines Vaters näherten sich. Rasch drückte er sich in den Schatten. Unbemerkt ging Cornelius an ihm vorbei und warf einen Blick in sein Zimmer. Jonathan hielt den Atem an und hoffte, dass der Trick mit der Bettdecke funktionierte. Mit einem zufriedenen Nicken schloss Cornelius die Tür und kehrte zurück ins Wohnzimmer.
    »Jonathan schläft wie ein Stein.«
    Helena seufzte. »Vielleicht sollte ich zu ihm … irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Vielleicht ahnt er etwas.«
    »Unsinn, Helena. Er war den ganzen Tag mit Markus unterwegs. Er ist einfach nur müde.«
    »Hoffentlich hast du recht. Also gut, dann los!«
    Sie schaltete den Fernseher ab. Jonathan musste jetzt absolut lautlos sein, wenn er sich nicht verraten wollte. Von der Küche aus konnte er beobachten, wie Cornelius etwas ins Licht hielt. Das Messer! Seine gläserne Klinge glänzte matt.
    »Das habe ich lange nicht mehr gesehen«, raunte er respektvoll.
    Helena breitete eine Straßenkarte auf dem Boden aus. »Wir haben keine Zeit«, flüsterte sie. »Mach schon!«
    Gemeinsam hielten sie das Messer fest, dirigierten es über die Karte, murmelten leise Worte und ließen es los. In einer Flugbahn, die allen Gesetzen der Schwerkraft spottete, fiel es zu Boden und blieb mit einem leisen Plock! in der Karte stecken. Helena nickte Cornelius auffordernd zu. Er warf einen Blick auf das Loch.
    »Das ist direkt an der Stadtgrenze«, sagte er. »Um die Uhrzeit, ohne Verkehr, vielleicht zehn Minuten mit dem Wagen.«
    Helena schloss die Augen und seufzte. »Lass uns fahren, bevor ich es mir anders überlege.«
    Cornelius wickelte das Messer in ein Tuch und verstaute es in einer Tasche, die er über die Schultern warf. Die Straßenkarte ließ er liegen.

Drittes Kapitel
Die Hexe in der Vorstadt
    Jonathan fuhr so schnell, dass der Wind in seinen Ohren rauschte. Die Straße führte in südlicher Richtung stadtauswärts in die Einsamkeit. Bäume wucherten aus der Dunkelheit empor und verschlangen das Licht. Fröstelnd wurde ihm bewusst, dass er in Schwierigkeiten stecken würde, wenn er sich in dieser gottverlassenen Gegend verirrte. Er warf einen prüfenden Blick auf die Straßenkarte, die sein Vater unvorsichtigerweise zurückgelassen hatte. Dann sah er die Gasse. Sie war schmal und endete vor einer Mauer. Dahinter lag ein verfallenes Fabrikgelände. Cornelius’ BMW war davor geparkt.
    Schnell versteckte Jonathan sein Rad im Gebüsch und schlüpfte unter dem kaputten Eingangstor hindurch. Er sprang über eine Pfütze hinweg, in der das Mondlicht auf öligen Schlieren tanzte. Vor ihm lag eine Ansammlung von Fabrikgebäuden, verstreut wie Bauklötze eines Riesenbabys. Er konnte die Gestalten seiner Eltern erkennen. Er folgte ihnen, sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen.
    Gedämpft trug der Wind die Stimme seiner Eltern durch die Nacht. »Das Messer täuscht sich nicht, es hat sich noch nie getäuscht. Wir dürfen jetzt nicht ungeduldig werden«, sagte Cornelius.
    »Wie lange sollen wir noch suchen? Das ist ein Albtraum«, stöhnte Helena.
    Cornelius bedeutete ihr, still zu sein. Er hatte etwas entdeckt. »Licht!«, sagte er leise. »Dort vorne!«
    Jonathan sah es auch. In einem der Gebäude flackerte ein Feuer. Eine Säule aus Rauch stieg zu den Sternen empor und verlor sich in der Nacht. Cornelius nahm Helenas Hand. Gemeinsam gingen sie auf eine alte Lagerhalle zu, ein Skelett aus Stahlträgern, das mit Graffitis übersät war. In ihrer Mitte stand eine Tonne, aus der ein Feuer loderte. Verwahrloste Gestalten hatten sich darum versammelt, Männer mit filzigen Bärten und verdreckten Gesichtern. Sie waren in Decken eingewickelt und starrten mit ausdruckslosen Mienen in die Flammen. Jonathans Herz setzte für einen Schlag aus, als er im Kreis der Männer die Frau mit den langen Fingernägeln entdeckte. Ihr Gesicht blieb hinter einem Netz dünner Haare verborgen. Schlagartig kehrten seine Erinnerungen zurück und mit ihnen die Gewissheit, dass ihre Erscheinung gestern Nacht kein Traum gewesen war.
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