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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
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vorgetragen, bis er sagen musste: »Sie können es nicht.« »Aber könnten denn nicht Sie!?« fragte mit flehender Stimme Gabriele Heintzen zurück. »Das kann Lanz nicht bezahlen.« »Warum?« rief sie erschreckt, »natürlich!« Und dann bekam Holtrop diesen später als beinahe sittenwidrig eingestuften CEO -Vertrag bei Lanz, der es ihm erlauben sollte, die inzwischen fünfzehn, siebzehn Millionen Euro schwere Stelle bei Cain in London zu behalten, dort nebenher weiterzuarbeiten, alle Reisespesen frei und garantiert im Flugzeug usw, und nur das eigentliche Lanz- CEO -Gehalt plus Boni sollte bei 3,5 Millionen Euro gedeckelt sein. Ins Tatenregister der Bösen wurde dieser Ausplünderungsvertrag aufgenommen unter: die Wucherer. Kurz nach dem Ende der Fußball- WM saß Holtrop mit Mack abends in Nizza vor dem Fischrestaurant Le Girelier am Hafen, Holtrop hatte im Mai schließlich doch bei Nizza ein recht schönes Anwesen gefunden und von Mack, steuerlich besser darstellbar, für sich einkaufen lassen, jetzt schaute Holtrop auf parkende Autos, vorbeiflanierende Passanten und die weißen Yachten dahinter und dachte an Skernings Oldtimergeschichten, die der ihm bei einem Regattatraining vor zwei Jahren in St. Tropez erzählt hatte. Aber die heutigen Yachten gefielen Holtrop doch besser als die alten Schiffe, auch wenn sie nur aus Plastik waren. »Was kostet so ein Boot?« fragte Holtrop. »Zum Mieten oder Haben?« »Naja, man würde es natürlich schon lieber haben wollen, oder?« »Vier Millionen, sechs«, sagte Mack und freute sich schon, »man kann auch neun Millionen ausgeben oder fünfzehn.« Holtrop nickte. Vielleicht könnte er dort das von der Lanz AG her zusätzlich und für vorerst drei Jahre auf ihn eindrängende Geld sinnvoll unterbringen. Mack merkte, dass Holtrop rechnete, und sagte, um ihn zu provozieren: »Gibt dann natürlich laufende Kosten.« »Natürlich«, sagte Holtrop, obwohl er daran im Moment nicht gedacht hatte, »laufende Kosten gibt es immer.« Das war es, was Mack an Holtrop mochte: Holtrop träumte, er rechnete. Aus dieser Differenz entstand für Mack geldwerter Gewinn. »Ich hör mich mal um«, sagte er zu Holtrop, und Holtrop, der das Gewinnstreben von Mack mochte, weil es ihm das Leben ermöglichte, das er heute führte, schaute Mack an und nickte und sagte: »Das ist sehr gut.« Dann lehnte er sich zurück, schaute auf die dicken weißen Boote und ließ sich den abendlichen südfranzösischen Sommerwind ins Gesicht wehen.

XV
    2007 . Seit seiner Flucht nach London war Holtrop in Deutschland so populär wie nie zuvor. Der spektakulär erfolgreiche Neustart dort hatte, nach dem noch spektakuläreren Rauswurf bei Assperg, genau die Story ergeben, die jeder hören wollte, die in der medialen Verdichtung durch den Peoplejournalismus, an immer neuen Figuren exemplifiziert, am besten ausschaute und deshalb auch am liebsten erzählt wurde, Absturz und Wiederaufstieg, Krise und Bewährung, Johann Holtrop, The Comeback Kid. Auch die Wirtschaftsjournalisten waren fasziniert, für sie war im wiedererstandenen, erneuerten Holtrop der neueste Geschäftsklimaindex quasi verkörpert; die Hoffnung, die damals überall zu spüren war, gelebt: gleich geht es wieder richtig los. Und wie es dann wirklich losgegangen war, hatte die Realität des Aufschwungs die tollsten Erwartungen übertroffen, und Holtrop mittendrin, vornedran, ganz oben auf der Welle obenauf. Jedes halbe Jahr mindestens hatte er ein großes Interview gegeben, demdeutschen Publikum die Geheimnisse der globalisierten Wirtschaft erklärt, die höhere Mathematik der finanzkapitalistischen Internationale, an deren Siegeszug Holtrop führend beteiligt war, zumindest sah es so aus, denn er ließ sich von den Reportern auf seinen Reisen quer durch die Welt begleiten und an möglichst exotischen Orten bei der Arbeit fotographieren, beim Dasein also und Herumstehen auf Flughäfen, in Shopping Malls, im Wüstensand am Golf, beim Scheich, beim Heliskiing in den Anden oder in St. Tropez am Hafen, wo er auf einem weißen Steinquader des Quai Gabriel Péri saß, und immer klimperte und klapperte ein Fotograph um ihn herum und gab die Kommandos, »da!, hier!, besser!, sehr gut«. Und Holtrop telefonierte mit Maschinger, der diesen Imagefeldzug aus seinem Stuttgarter Büro heraus befehligte, so fundamental falsch angelegt, wie der ganze Maschingerkosmos war, der unter der Überschrift stand: »geht nicht, gibts nicht«. Maximale öffentliche Sichtbarkeit
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