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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas
Autoren: DBC Pierre
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weil ich das Thema Lally vor mir herschiebe. Gott würde wollen, daß ich ihm vergebe und auch sein Verlangen stille, das weiß ich. Auch wenn er fast alles hat, was er will. Aber vielleicht einen klitzekleinen Gutschein?
    Am frühen Sonntagmorgen kehren die Geräte zurück und verleihen dem Tag ein Gefühl von belebender Frische. Der 28. März, ein Hinrichtungsdatum. Diesmal sind Techniker da, die die Fernseher fest montieren und ein System installieren, um sie während der Abstimmungszeiträume abschalten zu können. Als zusammen mit meinem Frühstückstablett ein Stapel Papierkram eintrifft, heulen in meiner Seele die Gefühle auf wie Schlittenhunde. Zuoberst liegt eine Broschüre, in der steht, wie man sich vor der Kamera bewegen soll, was man sagen darf und was nicht. Wahrscheinlich hat die der ganze Trakt bekommen, weil alle immer die falschen Sachen gesagt und getan haben. Unter der Broschüre liegt ein Hochglanzblatt mit Cartoon-Sträflingen, die Pfeile an ihren Anzügen haben - Hinweise für die letzte Erklärung. Als nächstes kommt ein Formular, wo man seine Musikwünsche ankreuzen kann: einen Titel für die Minuten, bevor die Zeugen den Raum betreten, und einen für das Ereignis selbst. Die Musik auf der Liste ist fast nur uraltes Zeug. In dem Wissen, daß ich sie bereuen werde, wenn's soweit ist, treffe ich meine Wahl. Ich werde einfach tapfer sein müssen, wenn die Wellen kommen.
    Während ich das alles verdaue, legt sich die vertraute Sonntagsstille über den Trakt. Ein paar Blätter rascheln. Dann ruft mich leise einer der Insassen.
    »Burnem, mein Mann - bist du okay?«
    Ich wende das letzte Blatt Papier meines Stapels um. Darunter liegt der Befehl für meine Hinrichtung, wirksam um sechs Uhr heute abend. Ich schaue auf das Formular wie auf eine Papierserviette oder so. Dann fall ich auf die Knie, heule wie eine Sturmwolke und bete zu Gott.
sechsundzwanzig
    Alle sind freundlicher zu mir am Nachmittag meines Todes. Die Insassen drangsalieren mich nicht, besonders nicht der, dem ich meine Klapperkugeln gegeben hab, und alle anderen übergehen das Thema stillschweigend. Hektische Betriebsamkeit liegt in der Luft, wie an einem dringlichen Backtag deiner Mom, an dem alles schiefgeht - da sind Gefühle, die unbeaufsichtigt bleiben, und eine Ahnung, daß ich noch an irgendwas denken muß, daß der Ofen noch an ist oder die Wohnungstür offensteht. Eine Ahnung, daß ich das alles erledigen kann, wenn ich zurückkomme.
    Als meine Pritsche abgezogen ist und meine Habseligkeiten sich sauber zusammengelegt auf dem Tisch stapeln, kommen vier Vollzugsbeamte mit einem Kameramann. Meine Traktgenossen lassen ihre Finger durch die Gitterstäbe fächeln und brüllen mir gute Wünsche zu, als ich an ihren Zellen vorbeischlurfe. »Yo, Burnem - fick sie, Mann, scheiß auf die Bastarde ...«
    Gott segne sie. Durch den Gang, in dem Lasalle verschwand, gehen wir zur neuen Ereignis-Suite im Erdgeschoß. Richtig, man wird nicht mehr nach Huntsville überführt, Ellis ist jetzt ein One-Stop-Shop, mit Teppichboden und Bildern an den Wänden und so weiter. Keine Chance auf eine letzte Fahrt also, aber wenigstens hat die Suite Fenster. Grau und kühl scheint es zu sein da draußen und still, bis auf die schnalzenden Geräusche von ein paar Insekten. Ein bißchen bin ich enttäuscht, daß keine Tornados und Feuersbrünste wüten am Abend meines Todes, aber andererseits - was denk ich eigentlich, wer ich bin, richtig?
    Wie versprochen, hat Pam die Zusammenstellung meiner letzten Mahlzeit übernommen. Chick 'n'Mix Choice Supreme mit Fritten, Rib-Rings, Corn Relish und zwei Bechern Krautsalat. Wie klug sie ist - sie hat die Küchenleute den Boden des Napfes mit Brot auslegen lassen, das den überschüssigen Dampf absorbiert und die unteren Stücke schön knusprig hält. Der Krautsalat war wahrscheinlich nicht ihre Idee - der geht auf Moms Konto, wegen der Gesundheit. Während ich heute abend auf der Bahre liege, werden sie dasselbe essen, diese Mädchen. Sie wollen das so, um sich vorstellen zu können, ich bin bloß draußen mit meinem Fahrrad unterwegs, anstatt hingerichtet zu werden.
    Um halb vier darf ich in einer geschlossenen Toilette meinen Verdauungstrakt leeren. Sie geben mir sogar eine Ausgabe von Newsweek zu lesen und eine Marlboro, an der ich ziehen kann. Ich bin ganz taub, wie narkotisiert oder so, aber ich freu mich trotzdem über diese kleinen Details. In Newsweek steht, daß Martirio die weltweit höchste ökonomische
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