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Jesses Maria - Hochzeitstag

Jesses Maria - Hochzeitstag

Titel: Jesses Maria - Hochzeitstag
Autoren: Carla Berling
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Kleinkind gibt, sehe ich ganz manierlich aus. Aber als sie mir im Salon Klinksiek zum ersten Mal den Pottschnitt verpassten, war die Optik komplett hinüber.
    „Im Ganzen kürzer“, hatte meine Mutter gesagt, und der Mann im fliederfarbenen Perlonkittel fasste mit zwei Fingern in mein dünnes Haar, hob eine mickrige Strähne hoch, ließ sie angewidert fallen und sagte: „Hm“.
    Die Grimasse, die er dabei schnitt, sollte ich später noch bei vielen Friseuren sehen, als könne ich was dafür, dass meine Haare so dünn und schlapp sind. Das macht man doch nicht extra!
    Schon damals, ich war etwa fünf, begann meine Abneigung gegen Friseure. Ich fand es schon mal doof, dass ich in den Herrensalon musste. Die Kinder mussten immer in den Herrensalon. Viel lieber hätte ich in einer der Kabinen gesessen, die mit bunten Plastikvorhängen rechts und links abgetrennt waren: Dort saßen nämlich die Frauen und schwatzten und rauchten, wenn sie sich die Haare machen ließen.
    Meine Mutter ging alle drei Monate zur Dauerwelle. Die Wasserwelle hat sie sich immer selber gemacht. Sie saß dann samstags nach dem Putzen in der Küche unter der Trockenhaube, die sie mit Stange und Zwinge an die grau karierte Resopalplattedes Küchentischs geschraubt hatte.
    Auf Mutters Kopf waren bunte Lockenwickler, aus denen spitze Haarnadeln ragten, und über den Wicklern trug sie ein rosa Chiffontuch, das farblich zum rosa geblümten Frisierumhang über ihren Schultern passte. Mutter las die „Constanze“ unter der Haube, aber manchmal nickte sie auch ein. Einmal war die Schraube an der Befestigungsstange locker, und die heiße Föhn-Glocke rutschte ganz langsam immer tiefer. Mutter wurde erst wach, als sich das Chiffontuch kräuselte und zu stinken begann.
    Danach bekam sie eine Schwebehaube vom Neckermann-Versand: Die sah aus wie eine himmelblaue Plastikmütze. Sie schloss mit einem festen Gummibund ab und bedeckte den Kopf von der Mitte der Stirn bis in den Nacken. Hinten mündete das Ding in einen dicken Schlauch, und der war mit einem Apparat verbunden, den Mutter sich um den Hals hängte. Wenn sie das Teil anschaltete, wurden Schlauch und Haube aufgeblasen, und sie sah aus wie ein Marsmännchen. Die neue Haube hatte aber den Vorteil, dass Mutter damit hin- und herlaufen konnte. So vertrödelte sie keine Zeit mit Constanze lesen, denn sie konnte nun, während die Haare trockneten, Staub wischen, Kartoffeln schälen oder bügeln.
    Herr Klinksiek trat im Herrensalon emsig auf ein Pedal am Fuße des riesigen schwarzen Stuhls, in dem ich ziemlich verloren hin und her rutschte, und der Stuhl ruckte immer höher. Er wickelte mir kratziges Krepppapier um den Hals und band den Umhang viel zu fest zu. Dann zog er die Schere aus der Tasche des Perlonkittels. Herr Klinksiek rauchte und schnitt abwechselnd, seine Finger rochen nach Haarfestigerund Zigaretten. Er schnippelte mit virtuosen, ausholenden Bewegungen, und wenn er nicht schnitt, klapperte er mit der Schere in der Luft.
    Ich musste die Augen schließen und linste durch die Wimpern. Er schnitt meinen Pony in der Mitte der Stirn ab, hackte hinten eine Stufe ins Deckhaar und kürzte die Seiten bis zur Mitte meiner abstehenden Ohren. Wenn ich im Garten Doppelkirschen ohne den braunen Schnabelschmiss der Amseln fand, hängte ich sie mir an die Ohren. In solchen Fällen war es praktisch, dass sie so weit abstanden. Aber unter dem Pottschnitt sahen sie schrecklich aus.
    Ich kämpfte mit den Tränen. Dabei träumte ich von langen Zöpfen, die ich mit Zopfspangen, die wie Schleifen aussahen, zusammenbinden wollte. Ich durfte das nicht. Ich bekam den Fassonschnitt.
    Meine Mutter verfolgte die Arbeit von Herrn Klinksiek sehr aufmerksam. Als er fertig war, pinselte er mit einem dicken Quast über mein Gesicht und meinen Hals, hielt einen Spiegel hinter meinen Kopf und fragte: „Recht so, kleines Frollein?“
    Das fand er lustig, denn er lachte dabei wie die Ziegen von Bauer Körtner. Den ganzen Weg nach Hause ging ich mit gesenktem Kopf, sah niemanden an und hoffte, dass mich auch keiner sah. Wie kam ich da jetzt drauf? Ach so, das Lied „Wilde Kirschen“ von Udo Jürgens.
    Wenn ich die alten Lieder von Udo Jürgens höre, fallen mir so viele Dinge von früher wieder ein. Ich hatte das meiste völlig vergessen. Vielleicht schreibe ich ab und zu mal wasauf. Daran hab ich zum ersten Mal gedacht, als ich neulich Tante Lisbeth gesehen habe. Die hat nämlich wirklich alles vergessen.
    Onkel Alois feierte
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