Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jerusalem

Titel: Jerusalem
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
alle großen Könige, die viele Heidenreiche zerstört und das Banner der Heiligen Kirche aufgerichtet haben.«
    Unter den Zuhörern waren einige französische Fürsten, die Urban selbst herbeigerufen hatte. Die Männer fühlten Urbans fordernde Blicke auf sich ruhen; jedes Wort drang tief in ihre Herzen. Bisher hatten sich Franzosen gegen Franzosen in zahllosen Kleinkriegen verzehrt, jetzt fühlten sie sich dazu aufgerufen, sich gemeinsam einem höheren Ziel zu widmen. Wenn Thybold davon erfahren hatte, dachte Rutgar, würde auch er wahrscheinlich diesem Aufruf folgen.
    Urbans Worte sollten gleichermaßen aufrütteln und versöhnen. Er kannte den schwelenden Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel. Er selbst, halb Flüchtling und halb Mächtiger, stützte sich auf das Wort des Herrn und auf die Überzeugung, dass selbst in jedem Raufbold ein edler Kern steckte, der aus der Furcht des Herrn heraus in heiligem Eifer eine höhere Aufgabe suchte. Urbans II. volltönende Worte nahmen einen feierlichen Klang an.
    »Ihr habt euch selbst, o Söhne Gottes, Gott geweiht. Ihr werdet unter euch Frieden halten und die Gesetze der Kirche befolgen. Ein Werk ist zu vollbringen durch die Kraft eurer Aufrichtigkeit und durch göttliche Bestimmung. Wir wenden uns einer Aufgabe zu, die Gott euch auferlegt hat.«
    Das kirchliche Verbot persönlicher Fehden hatte die Schwerter in den Scheiden festgeschmiedet. Der Nachfolger Petri erlaubte ihnen nun, die Waffen zum Schutz des Glaubens im Feindesland zu schärfen. Kampf für das eigene Seelenheil, das geöffnete Himmelstor vor dem inneren Auge, ehrenvolles Sterben und ein Weg durch Länder, wo Milch und Honig flossen, gaben dem Rittertum eine bislang nie gekannte Bedeutung.
    Mit ausgestrecktem Arm zeichnete Urban das Kreuz in die Luft. »Ihr werdet die Herolde Christi sein, denen all ihre Sünden vergeben sind, selbst wenn der Tod sie ereilt. Aus der Macht Gottes, die er mir verlieh, gewähre ich euch diese Absolution.«
    Jedes Wort war ein heiliges Machtwort. Die Unruhe nahm zu; fröstelnd und sich bekreuzigend, von der Angst vor der Bestrafung aller Sünden bewegt, schlugen sich viele Zuhörer an die Brust und erhofften Gesten und Beweise der Vergebung.
    Der Pontifex wartete, bis größere Stille eingekehrt war, und rief: »Ihr, bisher Söldner der Hölle, werdet zu Soldaten des lebendigen Gottes! Ich rufe euch zur Heiligen Reise auf, zur Pilgerfahrt in Waffen. Im Land der Heiligen Stätten werdet ihr die Elenden finden; ihr seid die wahrhaft Reichen. Dort sündigen die Feinde Gottes; ihr aber seid lautere Soldaten Christi. Christus verlangt, dass seine Streiter ihren Besitz und ihre Familie um seiner Willen verlassen, denn nur durch Christum erlangen sie, erlangt ihr das ewige Leben.«
    Aus der Menge der Tagelöhner und Leibeigenen rief eine heisere Stimme: »Gott will es so!«
    Jean-Rutgar begann zu erkennen, dass er Zeuge eines einzigartigen Geschehens wurde. Auf dem flachen Feld vor der Stadtmauer ergriff eine ansteckende Begeisterung, eine Art heiliger Schauder alle Wartenden.
    Urban wandte sich halb um und ließ sich von einem Würdenträger ein armlanges Kreuz geben. Er hob das Kreuz hoch über seinen Kopf und rief:
    »So ist es! Gott will es!«
    Ein Chor rauer Kehlen erhob sich. »Deus vult!« Die aus dem Languedoc riefen: »Deus lo volt!«, und »Diex le volt!« schrien die Südfranzosen.
    »Es ist Gottes Wille!« Jetzt reichte der Donner aus Urbans Kehle bis zu den hintersten Reihen der Versammlung. Was war es, das Gott wollte, fragte sich Rutgar verstört und schüttelte sich. »Er ist unter uns, die in seinem Namen versammelt sind. Er gab euch die Worte ein, die euer Kriegsruf sein soll. Überall werden sie seine Gegenwart verkünden. Tragt das Kreuz auf den Schultern, auf eurer Brust, auf den Fahnen! Unsere Pflicht ist, für ihn zu sterben, so wie er für uns sein Leben hingegeben hat.«
    Kardinal Gregorio dei Guidoni trat vor und rief beschwörend: »Ich nehme euch die Generalbeichte ab, ihr Krieger des Herrn!«
    »Gott will es! Gott will es!«, schrien jetzt Dutzende, dann Hunderte, Tausende. Ohrenbetäubendes Geschrei hallte von der Stadtmauer wider. Rutgar presste die Hände auf die Ohren, die im Wind eiskalt geworden waren. Viele Männer fielen auf die Knie, schlugen die Fäuste an die Brust und redeten wild durcheinander. Aus den Wolken zuckte ein schmaler Sonnenstrahl herunter; der gezackte Riss in der bleigrauen Fläche erweiterte sich, und zugleich mit einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher