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Jenseits aller Tabus

Jenseits aller Tabus

Titel: Jenseits aller Tabus
Autoren: Sandra Henke
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Hilfe die Dämonen ihrer Vergangenheit abstreifen zu können. Stattdessen hielt er sie frisch, indem er eine Art Fetisch entwickelte und ihre vermaledeiten Narben in jedes Liebesspiel miteinbezog, als würde er sich daran aufgeilen. Kein einziges Mal fragte er, woher die Narben stammten. Am Anfang nahm Lucille das mit Erleichterung zur Kenntnis. Aber Weihnachten und Silvester gingen vorüber, und nachdem der Schnee schmolz und die ersten Krokusse sprossen, erkannte sie, dass es lediglich Desinteresse seinerseits war.
    Im Grunde interessierte ihn nur sein Geschäft. Wenn er mit Jack Caruso sprach, änderten sich seine Haltung und seine Miene, und Lucille zog sich freiwillig zurück, weil sie plötzlich Angst vor Richard bekam. Sie wusste, dass es Unsinn war, aber seine Muskeln schienen sich aufzublähen, sein Blick verdüsterte sich, und er wirkte mit einem Mal wie eine Raubkatze auf der Jagd – konzentriert und dazu bereit, jeden zu zerfleischen, der sich ihm in den Weg stellte. Böse wie seine Tattoos. Doch er behandelte Lucille stets wie ein Gentleman.
    Wenn es um seine Firma ging, wagte sie nicht einmal ansatzweise nachzuhaken, auch nicht, wer der Südamerikaner mit dem altmodischen Oberlippenbart war, der Sommer wie Winter eine Sonnenbrille trug und mit dem er ab und zu eine Runde durch D. C. fuhr, um Berufliches zu besprechen. In einer Limousine. Mit getönten Scheiben. Richard hatte ihr nur erzählt, dass sein Job irgendetwas mit der Regierung zu tun hatte. Es klang wichtig, geradezu geheim.
    Im Frühjahr lernte sie ihre Sommersprossen perfekt zu überschminken, bis zum Sommer konnte sie so leichtfüßig auf High Heels gehen, als würde sie Sneakers tragen. Richard kam immer seltener nach Hause, aber wenn, dann taxierte er sie, als würde er ihre Fortschritte prüfen. Für Lucille blieb er ein wollüstiger Liebhaber, nicht mehr.
    Ihren Chauffeur Vicente sah sie weitaus öfter als ihren Ehemann. Richard bestand darauf, dass Vicente sie überallhin fuhr, aber der Kolumbianer tat mehr als das: Er folgte ihr auf Schritt und Tritt wie ein Schoßhündchen. Ein gefährliches Hündchen, das bewaffnet bis unter die Zähne war, denn er stellte sich als Bodyguard heraus, der sie nicht nur beschützte, sondern auch abschirmte.
    Im August wurde Lucille das Gefühl nicht los, von Richard kontrolliert zu werden. Etwas stimmte nicht mit ihm, mit ihrem gemeinsamen Leben – und nicht mir ihr. Als Lucille sich eingestand, dass die Hoffnung auf ein Heim mit viel Liebe, dafür ohne Geldsorgen, sie blind für die Wahrheit gemacht hatte und sie gerade dabei war, aus diesem Luxustraum aufzuwachen, wandelte er sich von einer Sekunde zur anderen in einen Albtraum.
    Anfang September stürmte das FBI ihr Penthouse. Die Bundesagenten warfen Richard schonungslos zu Boden, fesselten und verhafteten ihn. Lucille traute ihren Augen kaum und erstarrte. Noch nie hatte jemand eine Waffe auf sie gerichtet, in diesem Augenblick waren es gleich sechs Männer. Sie war zu Tode erschrocken! Zu allem Übel band man auch ihre Handgelenke mit Kabelbinder zusammen.
    Sie wusste nicht, wie ihr geschah, war verwirrt und den Tränen nah.
    Als man sie abführte, warf sie einen kurzen Blick in den Garderobenspiegel. Sie sah eine fremde Frau mit schwarzen, hüftlangen Haaren, Porzellanteint und 10-cm-Absätzen – und erkannte sich selbst kaum wieder. Dieses künstliche Schneewittchen war sie? Wo war die Lucille aus Boston mit ihrem Markenzeichen, dem roten Schopf, und ihren Zielen? Kein Widererkennungswert und keine Persönlichkeit, nur eine aalglatte Fassade.
    Der plötzliche Reichtum – und somit Richard – hatte sie einer Gehirnwäsche unterzogen.
    Entsetzt stellte sie fest, dass sie zu dem geworden war, was sie verabscheute: das Weibchen eines reichen Mannes zu sein, das nichts anderes tat, als sich mit seinem Aussehen zu beschäftigen.
    Man brachte Lucille ins J. Edgar Hoover Building und verhörte sie im Hauptquartier des Federal Bureau of Investigation wie eine Schwerverbrecherin, dabei war sie nur eine junge Frau, die den Fehler begangen hatte, Richard Dawson zu heiraten – den Händler des Todes.

1. KAPITEL
     
    Oktober, Florida
    Craig lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und musterte das neue Dienstmädchen unverhohlen skeptisch. Patrick, sein Butler und Hausvorsteher, hatte sie soeben in sein Arbeitszimmer geführt; seine Miene drückte deutliches Bedauern aus.
    Nun stand sie neben ihrem neuen Vorgesetzten an der Tür und sagte leise:
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