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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein
Autoren: Manfred Böckl
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grundsolides Weltbild schien er sich im Lauf seines Lebens zurechtgezimmert zu haben.
    »Um der Kinder willen!« Das war mehr als einmal seine Rede gewesen. Auch: »Weil wir zusammen einen schuldenfreien Hausstock haben könnten!« Einmal, als die Marei – eher im Spaß – von der Liebe geredet hatte: »Die kommt vielleicht später! Wenn’s dem Herrgott gefällt! Schwanger werden müßtest du wegen mir eh nicht mehr. Das tät’ ich nicht unbedingt von dir verlangen…«
    Das hatte die Endzwanzigerin, ganz tief drinnen, erschreckt. Jäh hatte sie den Altersunterschied, fünfzehn Jahre mindestens, wieder gespürt. Hatte sich dann aber gesagt, daß auch das Nachdenken darüber später kommen könne. Vertrocknet war sie jedenfalls noch längst nicht; das würde sie dem Geißler schon noch beizubringen wissen, unter vier Augen, im Ehebett.
    Vorerst war am wichtigsten der Ehestand selbst. Maria Jennerwein, die beinahe ihr halbes Leben immer nur herumgestoßen worden war, hatte im Gütlerhäusl zu Gelting endlich den Ausweg vor Augen gehabt. So waren sie und der Geißler sich beim Milchkaffee – kein Bierseidel, kein Schnapsstamper waren die ganze Zeit über auf den Tisch gekommen – einig geworden. »Im Herbst dann also, nach der Ernte«, hatte der Hochzeitsschmuser zuletzt den Termin festgesetzt und sich in der Vorfreude auf seinen Lohn die Hände gerieben.
    »Im Herbst«, hatte die Marei bestätigt – und nun, da sie aus ihrem langen Erinnern heraus wieder in die Gegenwart zurückkehrte, lag das Loisachtal vor ihr, dem Girgl und der Mutter. Unter jetzt noch stärker zirrenverwetztem Himmel lehnte sich das Dorf, in dem sie hinfort leben sollten, an die Flußleite. Weiter nördlich schob sich zwischen Erlenköpfen und Kiesbänken der Wolfratshausener Kirchturm ins Blickfeld.
    »Das ist sie«, wandte sich die neben den Kühen herlaufende späte Braut ihrem Sohn und der Alten zu. In ihren Pupillen irrlichterte dabei ein schüchternes Glänzen. »Das ist sie, unsere neue Heimat!«
     
    *
     
    Sie zeigte sich ihnen am nächsten Morgen, am Hochzeitstag, reichlich unfreundlich, diese neue Heimat. Beinahe bis zum Erdboden herunter ballten sich die Regenwolken über dem Voralpenland. Zwischen den Grabsteinen warfen die Pfützen Blasen, als das übertragene {21} Paar die Geltinger Filialkapelle betrat. Die Alte hustete die ganze Zeremonie hindurch; die Söhne belauerten sich gegenseitig aus klammem Sonntagstuch heraus. Wie aufgeplusterte Krähen kauerten etliche Betschwester n, die einzige Staffage bei der ärmlichen Vermählung, in den hinteren Bänken. Der Pfarrer machte es unlustig und kurz. Noch nicht einmal zum Wirt hatte der Geißler, der Fretter, für nachher geladen. Seltsam dünn und verloren schienen am Ende die jeweiligen Ja-Worte unterm düsteren Sakralgebälk zu hängen.
    »Mein Weib!« sagte der Bräutigam wenig später; sagte es zur Marei, meinte aber die andere. Im rückwärtigen Teil des Geltinger Friedhofs, vor dem Geißlerschen Familiengrab, stand die windige Hochzeitsgesellschaft jetzt frierend. Der Gütler bückte sich, griff nach dem Thujenzweig im Weichbrunnkessel {22} , besprengte murmelnd den zäh überwachsenen Hügel: »Gott geb’ ihr die ewige Ruh’, und das Licht leuchte ihr; dem Balg und den Eltern auch!«
    Nach ihm erfüllten Maria und die Alte den Brauch, ebenso die Buben. Drei, vier Vaterunser lang harrten sie alle zusammen noch im pladdernden Regen aus; das Hochzeitspaar unter dem schwarzen Schirm, den der Geißler trug, steif vereint. Zum Abschied von den Toten wiederum das Thujenwischen über den modrig riechenden Erdhaufen, das vor Nässe schillernde schmiedeeiserne Kreuz hin. Der Rückzug dann, hinaus ins Alltagsleben, fast wie eine Flucht; es war die Marei, Maria Geißler jetzt, die drängte.
    An vereinzelten Gaffern vorbei liefen sie durchs Dorf; verlegen, fremd noch grüßten die Haider dahin und dorthin. Endlich das Gütl, das noch unvertraute eigene Dach. Das Rumoren der Rinder im Stall schlug der Marei eine Brücke, sieben Stunden weit. Sie warf sich hinein in diese harsche Geborgenheit, kam dem Gatten, der ihr in der Kirche und am Grab seelenfern gewesen war wie nie, allmählich wieder näher beim Dunggabeln und Futterstreuen. Sie arbeitete dem Geißler zu und er ihr, bis schließlich die Alte, aus dem Fletz {23} heraus, zum Essen rief.
    Erdäpfel, Kraut und Geselchtes, abgerahmte Milch dazu. Das Zugreifen in der Rangordnung bereits, die nun für immer gelten sollte: der
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