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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde
Autoren: Natasa Dragnic
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Wunder, und Luka ist dankbar, ohne zu wissen, wofür.
    »Was grinst du so dämlich?« Vinko steht neben Lukas Tisch und sieht ihn argwöhnisch an.
    »Nichts. Ich weiß es nicht.«
    »Eine Runde zu spendieren, das geht auch ohne Grund, was?« Luka kommt es vor, als wäre sein Freund verärgert. Verstimmt.
    »Ja, warum nicht. Es geht mir gut.«
    »Dass deine Frau schon seit einem Tag in den Wehen liegt und es allmählich gefährlich wird, das weißt du auch. Oder?«
    »Kann sein. Geht mich aber nichts an.« Luka bereut es gleich, es gesagt zu haben, obwohl er eben so empfindet und sich im Recht fühlt.
    »Und dass die verdammten Serben vor Dubrovnik stehen und Šibenik beschießen, das geht dich auch nichts an, was! Luka, was ist los mit dir?«
    »Nichts.« Luka steckt die Nase ins Glas.
    »Ich erkenne dich gar nicht wieder.«
    »Da bist du in guter Gesellschaft, mein Lieber.«
    »Luka, werd endlich erwachsen!«
    »Lass uns trinken und schweigen.«
    »Es geht um deine Frau und dein Kind!«
    »So ist es. Als könnte ich das vergessen. Als würde man es mir erlauben, es zu vergessen.«
    Vinko betrachtet Luka mit offensichtlicher Verachtung und schüttelt den Kopf.
    »Biserka hat mir gesagt, ich soll dich finden und dir sagen, dass es nicht gut aussieht. Dass du ins Krankenhaus kommen sollst.« Und schon verlässt er Lukas Tisch.
    »Vinko!«
    »Was?«
    Unentschlossenheit.
    »Ach, nichts.« Denn plötzlich muss er daran denken, dass Klara sterben könnte und er befreit wäre von der Misere, die er sich ganz alleine ausgesucht hat. Und plötzlich, wie schon seit Jahren nicht mehr, fühlt er eine Art Hoffnung und schämt sich nicht für seine Gedanken. Nein. Er wagt es sogar – so übermutig ist er plötzlich geworden – Doras Namen in das fast leere Weinglas zu flüstern.
     
    »Er heißt Nikola.«
    Dora strahlt wie ein Weihnachtsbaum an Heiligabend. Sie ist ein wenig blass, aber das war es auch schon. Ihre Augen leuchten und sie lächelt ohne Ende. Es ist vollbracht.
    »Das ist ein wunderschöner Name, Dorice! Schlicht und ergreifend wunderschön!«
    Jetzt ist es wahr: für immer und ewig. Wie versprochen. Wenn auch gebrochen. Was jetzt egal ist. Denn sie war seine erste Frau. Und sie hat seinen ersten Sohn und seine ersten Bilder. Und überhaupt. Jetzt hat sie alles.
    Außer ihn selbst.
    »Luka! Luka!«
    Jemand ruft laut und klopft an die Kajütentür. Luka wacht aber nicht so richtig auf, zu viel Wein und zu viel Hoffnung, eine ungewohnte Kombination für ihn.
    »Luka! Mach auf, mein Sohn!«
    Es kann nur Zoran sein, aber Luka kann nicht einmal die Augen aufmachen, geschweige denn die Tür.
    »Luka! Bist du da? Luka! Komm, mach auf, es ist wichtig!«
    Der Lärm und das Geschrei ebben nicht ab, also rutscht Luka von der Liege und krabbelt blind bis zur Tür.
    »Hallo, was gibt’s?« Luka versucht zu lächeln, gastfreundlich auszusehen.
    »Was machst du hier? Deine Frau ist im Krankenhaus, und du solltest auch dort sein.« Zoran bleibt an der Tür stehen. Luka wirft sich wieder auf die Liege und schließt die Augen. »Luka, sine, was ist los?«
    »Ich weiß nicht, aber es war etwas Gutes, zur Abwechslung.«
    »Genau, du hast ein Mädchen bekommen! Noch eine Tochter, sine! Du solltest dort sein.«
    »Nein, das meine ich nicht …«
    »Aber ich! Luka, es geht ihnen nicht gut …« Zorans Stimme bricht. Luka öffnet die Augen.
    »Was ist passiert?« Und auch wenn man es nicht hört, weiß Luka, dass ihn ein schreckliches, hoffnungsvolles Verlangen erfüllt.
    »Klara geht es einigermaßen gut, aber die Kleine hat große Schwierigkeiten, konnte nicht atmen, hatte dann gleich einen Herzstillstand …« Zoran weint. »Die Ärzte wissen nicht, ob sie es schafft…«
    »Sie hat sie gestohlen. Es wundert mich nicht. Gestohlenes bringt nie Glück.« Und dennoch spürt er einen Schmerz im Bauch, dessen Heftigkeit ihn selbst überrascht. Ist das die Hoffnung, die dabei ist, zu sterben?
    »Was redest du denn da? Wer hat was gestohlen? Luka!«
    »Klara hat dieses Kind gestohlen wie ein gemeiner Dieb, der gemeinste Dieb von allen ist sie. Daraus konnte nichts Gutes entstehen.« Luka ist nicht wütend und nicht schadenfroh. Der Schmerz bereist gerade langsam und gründlich seinen Körper. Mit einem Mal ist er völlig nüchtern.
    »Ich verstehe kein …«
    »Macht nichts, tata, lass uns ins Krankenhaus gehen.« Den Dieb und seine Beute sehen, denkt er.
     
    Und am nächsten Tag meldet sich Luka freiwillig zur Armee. Zwei Wochen später
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