Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Autoren: Beate Dölling
Vom Netzwerk:
warum«, sagt sie.
    »Woher hast du das Tagebuch?«
    »Es lag unter deinem Bett.« Sie wendet sich von ihm ab und rennt weg, so schnell sie kann, rennt über die Urbanstraße, die Grimmstraße entlang. Zum Glück sind ein paar Leute auf der Straße. Sie spürt, dass Kolja ihr nicht mehr folgt. Sie hat ihn abgehängt. Was für ein Segen!
    Völlig außer Atem kommt sie bei Goldmarie an. Anne ist schon da, sie sitzt draußen.
    »Wollen wir reingehen?«
    Sie erzählt Anne, dass sie das Tagebuch von Jonas unter Koljas Bett gefunden hat und dass er sich für Jonas’ besten Freund ausgegeben habe … »Wieso macht er das?«
    »Weil er ein schwacher Mensch ist, ohne Persönlichkeit. Das war er immer schon. Er kann nichts dafür, es ist sein Karma. Dämonen steuern ihn.«
    »Red doch nicht so eine gequirlte Scheiße, Anne! Er hat mich angelogen. Er hat Jonas’ Identität angenommen. Ja, so muss man es wohl sagen. Er ist ja sogar blond geworden. Und er hat genau die Sachen gemacht, die Jonas gemacht hat, und alles nur für mich!«
    »Weil er dich liebt. Du kannst froh sein, dass du jemanden hast, der dich so abgöttisch liebt.« Es ist das erste Mal, dass Anne lauter wird. Julia fasst sich an den Kopf.
    »Froh? Das ist doch krank!«
    Anne lächelt verkrampft und schaut zur Decke. »Ich könnte ihn heilen.«
    »Du bist immer noch verknallt in ihn, nicht wahr?«
    Anne schaut sie sehnsüchtig an. »Ich könnte auch dich heilen.«
    Julia hat genug, sie will am liebsten sofort gehen, aber sie muss erst noch etwas wissen.
    »Woher weißt du, dass Kolja und Jonas keine besten Freunde waren?«
    »Weil ich mit Kolja aufgewachsen bin. Wir kennen uns schon aus dem Kindergarten, aus Fürstenwalde.« Anne beugt sich zu Julia. »Keiner kennt ihn so gut wie ich. Deswegen will er auch nichts mit mir zu tun haben. Ich habe ihn immer schon beschützt, habe ihm Kraft gegeben, damit er dem Bösen widerstehen konnte. Die Geister haben es nie gut mit ihm gemeint, sie haben ihn an der Nase herumgeführt, schon von klein auf an.«
    Julia muss tief ausatmen, um sich unter Kontrolle zu halten. »Was meinst du damit?«
    »Ganz einfach: Seine Seele ist zu schwach. Er hat sich verführen lassen.«
    »Von wem?«
    »Von Dämonen.«
    »Anne, bitte, bitte, hör auf damit!« Julia fasst sich mit beiden Händen an den Kopf.
    »Nein, wirklich, Julia. Das ist kein Quatsch! Er hat kleine Kinder in Schuppen eingesperrt, Tiere gequält. Er war ein von Dämonen getriebenes Kind.«
    »Tiere gequält?«
    »Frösche aufgeblasen, auf Vögel mit einem Luftgewehr geschossen. Einmal hat er einer Katze eine leere Blechbüchse an den Schwanz gebunden. Die Katze ist voller Panik losgerannt, über die Dorfstraße. Und dann ist sie unter den Schulbus gekommen.«
    Julia schlägt sich die Hand vor den Mund. »Nein«, stammelt sie. »Das ist nicht wahr.« In ihr krampft sich alles zusammen. Mocca, bleib stehen! Sie sieht ihre kleine Katze, wie sie tot auf der Straße liegt, und hört Anne sagen:
    »Auf dem Land geht es halt anders zu. Die meisten Jungs quälen Tiere, aber Kolja war anders. Er musste immer Dampf ablassen, seine Wut, seinen Frust. Er hat nie genug Liebe gekriegt. Ich wollte sie ihm schon als kleines Kind geben, aber von mir wollte er sie nicht. Er hat mich auch gequält, aber ich habe ihm verziehen. Ich weiß ja, dass es nicht seine Schuld ist. Er konnte nicht anders. Man kann sein Karma nicht verdrängen. Alles geschieht, wie es geschehen muss. Wir haben keinen Einfluss darauf. Alles ist vorbestimmt. Die Engel sitzen dort oben und mischen die Karten jeden Tag neu.«
    »Das glaube ich nicht«, widerspricht Julia. »Wir können selbst denken und handeln. Wir sind keine fremdbestimmten Wesen. Ich bin keine Marionette!«
    Der Satz von Olympe de Gouges fällt ihr ein:
    Ihr Frauen, wann wird eure Verblendung ein Ende haben?
    Annes Stimme dringt wieder zu ihr durch: »Natürlich spielen die Engel keine Karten. Das ist ja nur ein Bild, Julia, eine Metapher. Wir sind arme Seelen auf der Durchreise. Du auch. Schau dich doch an, wie du dich in Kolja geirrt hast. Du hast Kolja alles geglaubt, und du hast alles mitgemacht, nur um Jonas nah zu sein, stimmt’s?«
    Wie überlegen Anne grinst, Julia könnte ihr direkt eine reinhauen. Aber sie kann sich gar nicht rühren. Dabei hat sie schon genug, sie sollte aufstehen und weggehen. Sie ist nicht hier, um sich noch mehr von Annes verquerem Weltbild anzuhören. Sie ist hier, weil sie wissen will, warum Kolja sie angelogen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher