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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Autoren: Jonathan Kellerman
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Minuten.
    Ich machte das Licht aus und ging ins Schlafzimmer zurück. Robin richtete sich auf und stützte sich auf ihre Ellbogen. Ihr kupferfarbenes Haar glänzte in der Dunkelheit violett. Sie hatte ihre mandelförmigen Augen halb geschlossen.
    »Alex, was war denn los?«
    Ich setzte mich auf die Bettkante und schilderte ihr die Gespräche mit Jamey und der Nachtschwester.
    »Wie seltsam!«
    »Ja, es ist sehr seltsam.« Ich rieb mir müde die Augen.
    »Fünf Jahre habe ich nichts von dem Jungen gehört, und plötzlich, aus heiterem Himmel, ruft er an und erzählt mir diesen Blödsinn.«
    Ich stand auf und ging im Zimmer umher.
    »Er hatte damals zwar Probleme, war aber nicht verrückt. Eben klang er sehr verwirrt. Sein Verstand war brillant, aber heute Nacht war er in einem schlimmen Zustand: paranoid, er hörte Stimmen, erzählte Verworrenes. Ich kann kaum glauben, dass es der gleiche Junge war.«
    Mein Verstand sagte mir jedoch, dass er es war. Was ich am Telefon gehört hatte, klang nach einer Psychose oder dem Einfluss von Drogen. Jamey musste inzwischen ein junger Mann sein, siebzehn oder achtzehn Jahre alt, statistisch in einem Alter, in dem eine Schizophrenie ausbrechen konnte oder in dem man Missbrauch mit Drogen trieb.
    Ich ging zum Fenster und sah eine Weile in die Nacht hinaus. Im Tal herrschte Stille. Eine schwache Brise bewegte die Wipfel der Kiefern.
    »Warum kommst du nicht ins Bett, Liebling?«
    Ich kroch wieder unter die Decke. Wir umarmten uns. Als sich ihr Körper vor Müdigkeit entspannte, küsste ich sie, rollte mich auf die Seite und versuchte einzuschlafen, vergeblich. Ich war zu aufgewühlt, das wussten wir beide.
    »Nun rede schon«, forderte sie mich auf und ergriff meine Hand.
    »Ich kann nicht viel dazu sagen. Ihn so zu erleben war überraschend für mich. Und wie dieser Drache mir die kalte Schulter zeigte! Ein richtiger Eisblock, tat so, als ob ich der Verrückte sei. Aber als sie das Gespräch unterbrach, muss etwas passiert sein, das sie aus der Fassung brachte.«
    »Meinst du, dass es mit Jamey zu tun hatte?«
    »Wer weiß das schon? Das alles ist sehr merkwürdig.«
    Wir lagen ruhig nebeneinander. Die Stille wirkte bedrückend. Die Uhr zeigte auf 3.23 Uhr. Ich küsste Robins Finger und ließ ihre Hand los. Dann stand ich auf.
    »Ich kann jetzt nicht schlafen, ich will dich auch nicht vom Schlafen abhalten.«
    »Willst du ein Buch lesen?«, fragte sie, denn das machte ich häufig, wenn ich nicht einschlafen konnte.
    »Nein«, ich ging zum Schrank und begann, in der Dunkelheit meine Kleider zu suchen. »Ich werde jetzt fahren.«
    Sie drehte sich herum und starrte mich an. Nach längerem Tasten fand ich schließlich Flanellhosen, Lederschuhe, Rollkragenpullover und ein Tweedjackett und zog mich schweigend an.
    »Du fährst weg? Zu dieser Klinik?«
    »Der Junge braucht dringend Hilfe. Wir hatten damals ein sehr gutes Verhältnis. Ich mochte ihn gern. Wahrscheinlich kann ich nichts für ihn tun, aber ich fühle mich besser, wenn ich mehr erfahre.«
    Sie sah mich an, wollte etwas sagen, seufzte aber schließlich nur.
    »Wo liegt diese Klinik?«
    »Draußen im West Valley. Um diese Zeit nur fünfundzwanzig Minuten. Ich bin bald wieder zurück.«
    »Sei vorsichtig, Alex.«
    »Mach dir keine Sorgen.« Ich küsste sie und sagte: »Schlaf weiter.«
    Sie war jedoch hellwach, als ich die Wohnung verließ.
    Der Winter war spät über Südkalifornien hereingebrochen und hatte lange über dem Land gelegen. Für den Frühlingsanfang war es entsprechend kalt; ich knöpfte meinen Mantel zu, dann überquerte ich die Terrasse und stieg die Eingangstreppe hinunter. Vor einigen Jahren hatte jemand Jasmin gepflanzt, der nachts blühte. Die Pflanzen hatten sich überall ausgebreitet und füllten die Gegend von März bis September mit ihrem betörenden Duft. Während ich tief einatmete, musste ich an Hawaii denken.
    Der Seville stand unter dem überdachten Einstellplatz neben Robins Toyota. Er war staubig, hatte eine Wäsche dringend nötig, startete aber bereitwillig. Das Haus liegt über einem sich windenden Saumpfad; es kostet einige Mühe, einen Cadillac ohne Kratzer durch die von Sträuchern eingezwängten Kurven zu manövrieren. Nach vielen Jahren beherrsche ich das natürlich im Schlaf. Ich fuhr den Wagen zurück, wendete und machte mich an die Talfahrt.
    Auf dem Beverly Glen Highway raste ich in Richtung Sunset die Berge hinunter. Wir wohnen in einem Bereich des Valley, der sich durch ländlichen
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