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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Autoren: Jonathan Kellerman
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Krankenwagen geschoben. Einige davon hingen am Tropf und wurden vorsichtig getragen. Andere Körper wurden in Plastikbeutel gesteckt und wie Gepäck behandelt. Aus einem der Wagen drang ein Stöhnen. Die Fahrbahn war mit Glassplittern, Benzin und Blut bedeckt.
    Verkehrspolizisten riegelten in lockerer Formation die Fahrbahn ab. Das Blutbad im Rücken, beobachteten sie aufmerksam die wartenden Autofahrer. Einer von ihnen sah mich kommen und wollte mich mit einer schroffen Handbewegung zurückwinken. Als ich mich darum nicht kümmerte, kam er mit grimmigem Gesicht auf mich zu.
    »Gehen Sie sofort zu Ihrem Fahrzeug zurück!«
    Er war jung und hoch gewachsen, hatte ein längliches rotes Gesicht mit einem schmalen rehbraunen Schnurrbart, seine dünnen Lippen waren verkniffen. Eine eng sitzende Uniform ließ seinen muskulösen Körperbau erkennen; er trug ein winziges knallblaues Halstuch. Auf seinem Namensschild stand BJÖRSTADT.
    »Wie lange wird das hier noch dauern, Officer?«
    Die Hand an seinem Revolver, trat er näher. Er kaute eine Magentablette und duftete nach einer Mischung aus Schweiß und Fichtennadeln.
    »Gehen Sie sofort zu Ihrem Fahrzeug zurück!«
    »Ich bin Arzt, Officer. Ich muss zu einem Notfall, Sie müssen mich durchlassen.«
    »Was für ein Doktor sind Sie?«
    »Psychotherapeut.«
    Diese Antwort schien ihm zu missfallen.
    »Was ist das für ein Notfall?«
    »Ein Patient rief mich gerade an, er ist in einer Krise, es besteht Selbstmordgefahr. Ich muss so schnell wie möglich zu ihm.«
    »Müssen Sie zu ihm nach Hause?«
    »Nein, er ist in einer Klinik.«
    »In welcher Klinik?«
    »Psychiatrie, Canyon Oaks, ein paar Meilen entfernt.«
    »Zeigen Sie mir Ihre Lizenz.«
    Ich gab sie ihm und hoffte, dass er die Klinik nicht anrufen würde. Ein Palaver zwischen Officer Björstadt und Mrs. Vann hätte mir gerade noch gefehlt.
    Er studierte das Papier, reichte es mir zurück, wobei er mich mit misstrauischen Augen ansah.
    »Ich schlage vor, Dr. Delaware, dass ich Ihnen zur Klinik folge. Sie werden dort sicher den Notfall bestätigen, oder?«
    »Natürlich, fahren wir also.«
    Nachdenklich zwirbelte er seinen Schnurrbart.
    »Was für einen Wagen fahren Sie?«
    »Einen 79er Seville, dunkelgrün, braunes Dach.«
    Er betrachtete mich argwöhnisch und sagte schließlich:
    »Okay, Doktor, kommen Sie langsam auf der Standspur nach vorn. Wenn Sie hier sind, halten Sie an, bis ich Ihnen die Weiterfahrt erlaube. Ein Unfall reicht für heute Nacht.«
    Ich bedankte mich und lief zu meinem Wagen zurück. Unter den feindlichen Blicken der anderen Fahrer rollte ich nach vorn.
    Auf der Fahrbahn waren hunderte von Lampen verteilt, sie sah aus wie eine kerzengeschmückte Geburtstagstorte. Kaum war das Lichtermeer aus meinem Rückspiegel verschwunden, gab ich Gas.
    Bei Calabasas wich der Vorstadtcharakter der Landschaft, sanft gewellte, mit uraltem knorrigem Eichengestrüpp bewachsene Hügel bestimmten das Bild.
    Die großen Ranches von früher waren inzwischen aufgeteilt, Pferde gab es jedoch immer noch, sie dienten jetzt dem Freizeitvergnügen der feinen Gesellschaft. Die Grundstückspreise waren sündhaft hoch, die umzäunten Anwesen einige Hektar groß - Spielwiesen für die Wochenendcowboys von heute. Kurz vor Ventura fuhr ich vom Freeway ab und folgte einem Wegweiser, der mich südwärts über eine Betonbrücke zum Canyon Oaks Psychiatric Hospital wies. Nachdem ich an einer Selbstbedienungstankstelle, einer Baumschule und einer christlichen Grundschule vorbeigefahren war, folgte ich ein paar Meilen einer steilen einspurigen Straße, bis ein weiteres Schild mich westwärts wies. Der durchdringende Gestank frisch gedüngter Felder lag in der Luft.
    Das Gelände von Canyon Oaks kündigte sich mit einem riesigen blühenden Pfirsichbaum an, der einen langen Schatten warf; das offene Tor wirkte eher malerisch als abschirmend. Von Buchsbaumhecken eingefasst, hinter denen sich Eukalyptusbäume abzeichneten, wand sich ein endloser Weg auf einen Hügel hinauf.
    Die Klinik war der Traum eines Bauhaus-Architekten: Quader aus weißem Beton fügten sich in Gruppen zusammen; überall blinkten Stahl und verspiegeltes Glas. Das umliegende Grundstück hatte man für mehrere hundert Jahre vom Unkraut befreit, es betonte die Strenge der Formen und Winkel. Das aufgereihte Ensemble von Kuben wirkte wie eine kalte, glitzernde Schlange. Vor dem Berg, der sich im Hintergrund schwarz abzeichnete, bewegten sich funkelnde Lichtpunkte. Taschenlampen.
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