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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Insassen zu bergen – die Verunglückten, ein Mann in mittleren Jahren
und eine nackte junge Frau – lebten. Noch …
    Noch lebten sie!
    Die vor die Münder gehaltenen Spiegelchen
beschlugen, Puls war zu verspüren, der Mann, die Frau, beide waren ohne
Bewusstsein, aber noch war der Tod nicht eingetreten. Noch gab es Hoffnung.
    »Ob man bei ihr hoffen soll?« Der Notarzt meinte
das nicht als Frage. »Was wäre das noch für ein Leben …«
    In der Innsbrucker Uniklinik wurde alles
Menschenmögliche getan, die beiden zu retten. Es gelang, Spiss’ Zustand zu
stabilisieren. Eine Gehirnblutung wurde operativ entfernt, und er wurde in
einen künstlichen Tiefschlaf versetzt.
    Carla aber, Carla Manczic, siebzehn Jahre alt und
Schülerin am Bundesrealgymnasium Innsbruck, hauchte um zehn vor halb sechs am
Morgen ihr letztes Restchen Leben aus.
    Ihre Eltern warteten auf kalten Stühlen im
Vorraum der Intensivstation, weinend die Mutter, leise Gebete sprechend der
Vater. Als ein Arzt durch die milchgläserne Schiebetür trat und auf sie zukam,
wussten beide sofort, dass es vorbei war.
    * * *
    Tinhofer hatte die ganze Nacht nicht
geschlafen. Zum einen, weil er seinen Job erledigen musste. Zum anderen, weil
ihn diese Sache mehr aufgewühlt hatte als jede andere. Es ließ ihn nicht kalt,
dass sich das Mädchen noch bewegt hatte. Nein, es trieb ihn um, ließ seine
Hände noch zittern, als er schon in der Dunkelkammer zugange war. Zugleich war
er sich bewusst, dass er sich einen großen Fisch geangelt hatte. Was er da
wusste und schwarz-weiß auf Fotopapier hatte, war bares Geld wert. Viel Geld.
    Morgens um fünf – als Carla im Sterben lag, was
er freilich nicht wissen konnte – brühte er sich einen starken Kaffee. Die
Abzüge hatte er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Er trank mit schlürfenden
Schlucken und wandte seinen Blick nicht von den Fotos ab.
    Er musste Entscheidungen treffen. Die Bilder
gehörten der Tageszeitung, in deren Auftrag er sich auf die Spur von Spiss
gesetzt hatte. Keine Frage. Aber auf die Informationen, die nur er haben
konnte, hatten sie nicht automatisch ein Anrecht.
    Tinhofer spürte, dass aus dieser Sache, wie
beschissen sie auch immer sein mochte, mehr herauszuholen war.
    Er zögerte. Doch er wusste auch, dass ihm dieses
Zögern nichts nützen würde.
    Die Zeitung bringt die Meldung erst morgen,
dachte er. Im Radio wird schon vorher was berichtet werden. Über den Unfall
sowieso. Und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sie auf Spiss kommen und
auf seine junge Geliebte.
    Um halb sieben Uhr morgens griff er zum Telefon
und riss mit seinem Anruf einen Redakteur beim Rundfunk aus dem Schlaf.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk! Seriös. Geld konnte man aber auch da abzocken.
    »Tinhofer …? Du hast wohl den Arsch offen! Weißt
du, wie spät es ist …?«
    Doch legte sich der Ärger beim Rundfunkmann
schnell, als er erfuhr, was Tinhofer zu bieten hatte.
    »Ja, klar. Ich hab die Bilder fertig. Die kannst
du zwar nicht senden, aber sie dürften Beweis genug dafür sein, dass alles
stimmt, was ich dir sage.«
    Eine halbe Stunde später brachten die Nachrichten
erste Meldungen zum tragischen Verkehrsunfall auf der Brennerstraße B 182.
    * * *
    Auf den langen Fluren der Innsbrucker
Uniklinik begegneten sich, ohne voneinander zu wissen, die Eltern Carlas und
die Ehefrau von Reinhold Spiss. Den einen stand das Entsetzen ins Gesicht
geschrieben. Sie hatten ihre Tochter verloren, das war gewiss. Ungewiss war,
warum sie nicht bei einer Freundin gewesen war, sondern auf der Brennerstraße
verunglückte. Wie sie überhaupt in das Auto des Mannes gekommen war, was sie
mit ihm zu tun hatte. Die Tochter war tot, und es gab nichts Schrecklicheres.
Und doch konnten die Eltern noch gar nicht richtig trauern, weil diese Fragen
ihre Gedanken quälten und sich in ihre Herzen und Seelen brannten.
    Die Frau hingegen zeigte ein Gesicht, das auch
voll Schmerz war, in dem es aber auch Hoffnung gab. Sie wusste noch nichts von
dem Mädchen, hatte nur die Benachrichtigung erhalten, dass ihr Mann schwer
verunfallt war, sehr schwer, und eilte mit sich jagenden und überstürzenden
Gefühlen in die Klinik.
    Die Hoffnung, dachte sie, und sie glaubte dabei
sogar ihre Gedanken zittern zu spüren, die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Wie
abgedroschen, dachte sie. Und doch: wie wahr, wie wahr, wie wahr.
    * * *
    Vom Sender bekam Tinhofer
achtunddreißigtausend Schilling für seine Information. Er musste sich
verpflichten,
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