Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger des Einhorns

Jäger des Einhorns

Titel: Jäger des Einhorns
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
fellbedeckten Sessel an den Tisch.
    »Warum ist es so wichtig für euch«, begann Rauco und setzte sich neben Yzinda, »der Opferung der Fremden zuzusehen? Es ist nie schön, zuzusehen, wenn andere Menschen sterben. Zudem sind es Seeleute wie wir – ich habe es von den Magiern erfahren.«
    Giryan zog die Schultern hoch, musterte nachdenklich und unschlüssig die Fremden und murmelte endlich:
    »Nun, ich weiß nicht viel über diese Fremden. Wir Flößer glauben nicht alles, was in Yucazan behauptet wird. Aber wenn es alle Magier behaupten, stimmt es wohl.«
    »Der Glaube«, wandte Rauco ernsthaft ein, »hat viele Gesichter. Wer vermag zu sagen, welches richtig ist?«
    »Du redest klug, Rauco!« sagte Corsac. »Wie kommt es, daß wir noch nie dein Schiff Ayadon zu Gesicht bekamen?«
    »Weil dort, wo sie im Hafen liegt, keine Flößer sind«, wich Rauco aus. »Wir heben die Becher auf das Wohlergehen der Flößer!«
    Die Musik wurde lauter, als die Frauen und Männer tranken. Speisen wurden gebracht. Es waren kleine, sorgfältig zubereitete Leckerbissen – zumeist Meeresgetier und Fisch, mit rätselhaften, streng riechenden Zutaten, die allesamt gut schmeckten. In den Klang der kleinen Trommeln, die mit Händen und Fingern geschlagen wurden, mischten sich die Klänge von Saiteninstrumenten und dunkel tönenden Flöten. Bald herrschte eine ruhige Fröhlichkeit im Innern der Wohnbauten. Einige Kinder schliefen. Alle Flößer warfen immer bewundernde Blicke auf die Duine, die versuchte, mit jedem Anwesenden ein paar fröhliche Worte zu wechseln. Die kleinen Öffnungen in den Holzbauten ließen nur wenig Luft durch, die Wärme staute sich, und die Menschen fingen zu schwitzen an.
    »…gerade euch«, hörte Casson seinen Freund aus Loo-Quin gerade sagen, »ist daran gelegen, die Wahrheit zu kennen. Denn ihr kommt mit unzähligen Menschen in vielen Häfen entlang der Küsten und flußauf- und flußabwärts ins Gespräch!«
    Giryan wiegte seinen weißen Schädel und brummte:
    »Richtig, Rauco. Aber, wie ihr schon sagtet – die Wahrheit hat tausend Gesichter. Wem sollen wir glauben?«
    Casson saß in einem leichten Sessel, den man für ihn auseinandergeklappt hatte. In seinem Rücken verlief ein senkrechter Balken. Er hatte den Sessel gekippt, hielt sein Schwert quer über den Schenkeln und hob seinen Becher. Eine trügerisch gute Laune erfüllte ihn. Er fühlte sich sicher und geborgen zwischen diesen wortkargen, aber klugen und erfahrenen Leuten.
    Einige Zeit später – die Musik spielte noch immer ihre melancholischen Weisen, die über das stille Wasser hallten – befanden sich in dem mittleren Raum nur noch erwachsene Flößer und die Gäste. Cassons aufmerksamer Rundblick sagte ihm, daß sich jedermann wohl fühlte.
    Er blickte zwischen einigen Calcopern hindurch und beugte sich vor, um besser verstehen zu können, was Yzinda eben sagte. Sie hatte für den Besuch des Tempels und der Basare ihre besten Gewänder angelegt und erschien ihm im Licht der vielen kleinen Ölflammen plötzlich wieder begehrenswert. Sie lachte, hob den Arm und wischte über der Perlenkette den Schweiß von ihrer Stirn. Drei Herzschläge später streifte ihr Finger das falsche dritte Auge.
    Es löste sich von der Haut, kollerte über ihre Finger und rollte zwischen die Weinbecher.
    Darunter wurde das vernarbte Brandmal sichtbar.
    Giryan hörte mitten im Wort zu sprechen auf. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, der schwer zu deuten war. Entsetzen, Schrecken, Verwunderung und tödliche Enttäuschung stritten miteinander. Schlagartig riß jede Unterhaltung ab.
    Eisiges Schweigen und eine furchtbare Lähmung breiteten sich binnen weniger Atemzüge aus.
    Rauco warf Casson einen Blick zu. Dann stand er auf und hob den Arm. Die jungen Frauen wurden von den Brüdern und Männern aus dem Raum gedrängt. Türen und Vorhänge schlossen sich. Ungerührt spielten die Musiker weiter.
    Rauco sagte halblaut, mit seiner tiefen und beruhigenden Stimme:
    »Die Verehrung, die unserer Duine entgegengebracht wurde, ist soeben in krasse Feindschaft umgeschlagen. Hör gut zu, Floßvater, ehe du etwas Unbesonnenes tust.«
    Die Hände Giryans und seiner Söhne lagen bereits an den Dolchgriffen.
    »Sprich!« forderte ihn Giryan auf.
    »Zuerst lasse mich folgendes sagen«, erklärte Rauco. »Was ihr eben gesehen habt, ist richtig. Yzinda, die Duine des Magiers Quaron, verlor ihr drittes Auge. Sie verlor es zu Unrecht. Sie tat nichts Böses, doch sie sollte von den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher