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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern
Autoren: Leon Garfield
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war,
    war einsam und rief laut nach Gesellschaft. »Mr.
    Pobjoy ist ein sehr strenger Kapitän.«
    »Das wäre er auch«, stimmte der Koch zu, indem
    er sich den dreckigen Bart kratzte, »das wäre er auch
    – wenn er’s wäre. Aber sei gesegnet, guter Junge!
    Pobjoy ist der Koch! Pobjoy! Na?« Dann schüttelte
    er den Kopf: aber ich glaube, er war geschmeichelt, daß er umschweifig für den Kapitän gehalten worden
    war. Drum berichtigte er mich sehr nett und ver-
    träumt, als sei die Einrichtung dieser dunklen Welt etwas, worüber er schon lange nachgrübele …
    Obwohl es richtig und geziemend sei, daß ich Mi-
    ster Pobjoy achten und zu ihm aufblicken solle, müß-
    te ich doch hier und jetzt, bevor es zu spät sei, begreifen, daß der Kapitän etwas ganz anderes sei. Er und Mr. Pobjoy hatten nur eins gemeinsam: die Sterblich-keit, und selbst das war nicht so sicher … » Da hast du einen Mann! Nicht besonders groß, und doch be-herbergt er einen Geist, der seine Flügel über uns
    breitet wie die eines gefallenen Engels. Es ist an ihm eine schlimme Rechtlichkeit, vor der man die Mütze
    zieht, wenn er vorbeigeht. Wir armen Seelen segeln
    alle außerhalb des Gesetzes, weil uns die Winde des Unheils treiben. Aber er geht mit einem Wind seiner eigenen Wahl. Und obwohl wir alle denselben Kurs
    segeln, sind seine Segel die einzigen, die getrimmt sind.«
    »Ich hätte ihn nie für einen besseren Mann gehal-
    ten als Sie, Mister Pobjoy.«
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    »Was? Hast du ihn denn schon gesehen?«
    »Den kleinen Mann mit den grünen Breeches und
    einer schweren Hand.«
    »Segen über dich, mein lieber Junge. Das ist Mister Morris, der Segelmeister. Der Kapitän ist ein ganz anderer Mann.«
    Dann fragte er mich aus, was ich sonst von dem
    Schiff wüßte. Insbesondere fragte er mich nach dem
    Laderaum. (»Fässer, Mister Pobjoy, Sir – Fässer und Fässer!«) War es Gin, wollte er wissen, süßlich rie-chende Tonnen, gestapelt und verstaut? Kleine
    Glühwürmchen schienen ihm um die Triefaugen zu
    krabbeln, und törichter Weise versuchte ich, ihn zu erfreuen. »Aye, Mister Pobjoy, da unten ist Gin – ja, gewiß, süßlich riechend.«

    Dem Anschein nach hatte ich nicht mehr als zehn
    Minuten geschlafen, als ich mit einem Tritt und der frohen Botschaft geweckt wurde, daß die Sonne vor
    mir aufgegangen war. Mein Tag war angebrochen.
    »Gott schütze mich!« murmelte ich.
    »Was ist das! Was ist das?« schrie Mister Pobjoy.
    Er war in der übelsten Laune erwacht und saß mit
    gesträubtem Haar und Händen, die die Tischkante
    umklammerten: Ein sehr sauertöpfischer und ver-
    dreckter alter Mann, der nach Gin lechzte.
    »Du hast einen Fluch auf Pobjoy gelegt! Du hast
    gesagt – Pobjoy verrecke! Seine Zunge vertrocknet,
    seine Haut prickelt, seine Eingeweide kehren sich um!
    Geh, hol ein Faß von diesem Gin. Das ist Pobjoys
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    Wunsch – gleich! Oder er schneidet dir die Leber raus und gibt sie der verdammten Crew zum Frühstück.«
    Er ergriff ein Messer und begann, durch die enge
    Kombüse rückwärts und vorwärts zu laufen, wobei
    er an die Töpfe stieß, die ihm im Weg waren, und nur anhielt, um zu heulen, daß er verflucht sei und ohne seinen notwendigen Gin zugrundegehen würde.
    Das, dachte ich, hatte ich von meinem Wunsch, ge-
    fällig zu sein. Ich hätte Bescheid wissen sollen, als ich die Glühwürmchen in seinen Augen sah. Ich hatte mit meiner Mär ein Feuer in seinem Kopf entfacht, das
    nur der Gin löschen konnte. Die ganze Nacht muß
    der Gedanke an Gin in seinem Kopf geschwärt haben
    – »es gibt Gin an Bord« – und ein Mister Pobjoy
    weckte den schlafenden anderen und erzählte es ihm.
    Denn ich schwöre, es gab zwei Mister Pobjoys in ei-
    nem. Deshalb hat er sich vielleicht auch nie – bis auf einmal – »mich« oder »ich« genannt, sondern immer
    »er« oder »Pobjoy«, als sei er nur der furchtsame
    Zeuge des tiefinnerlichen schrecklichen Pobjoy – Pobjoy, der vom Gin-Wahn Besessene, der schlief, bis die Worte »es gibt Gin an Bord, Pobjoy«, ihm ins unsichtbare Ohr geflüstert wurden …
    Ich flüchtete mich unter den Tisch. Ich sah seine
    narbigen und verschorften Füße über die Bretter
    stampfen und alle paar Sekunden sein wildes Gesicht auf den Kopf gestellt, Bart in der Luft, umherglot-zend, wo ich mich versteckt hielt.
    Als ich bereits die Hoffnung aufgegeben hatte, die-
    sen Morgen zu überleben, kam ein Paar reinlicherer
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    Füße hinzu, und eine bekannte Stimme forderte Mi-
    ster Pobjoy
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