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Irrliebe

Irrliebe

Titel: Irrliebe
Autoren: Klaus Erfmeyer
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meine Person, also erst recht eine Adresse oder Telefonnummer. Ich habe Franziska zu einem Treffpunkt bestellt. Wir haben auch später nie miteinander telefoniert. Ich habe ihr nie meine Nummer gegeben. Auch das gefiel ihr. Sie durfte und konnte nicht zu mir Kontakt aufnehmen, wenn sie es wollte. Wir trafen uns, wann und wo ich es vorgab. Bei jedem Treffen bestimmte ich Zeitpunkt und Ort des folgenden.«
    »Wo haben Sie sie das erste Mal getroffen?«, wollte Marie wissen.
    »Ich habe sie in die Fußgängerzone bestellt. Sie sollte an einer bestimmten Lampe warten, die ich ihr genau beschrieben habe. Und sie sollte den Lampenmast mit den Armen umgreifen, als sei sie daran gefesselt.«
    »Und das hat sie gemacht?«, fragte Marie.
    »Das hat sie gemacht«, bestätigte Pierre sanft und genussvoll. »Sie musste es ja tun, weil ich sie sonst nicht erkannt hätte. Ich hatte ihr geschrieben, dass ich keine Frau ansprechen werde, die nur so an dieser Lampe steht. Es war zur besten Geschäftszeit. Es liefen hunderte Passanten durch die Fußgängerzone. Vor dieser Kulisse musste sie sich so albern hinstellen. Ich hatte sie gemeinsam mit Antje aus der Nähe betrachtet. Wir waren schon da, als Franziska kam. Sie war überpünktlich. Ich weiß noch, wie sie sich umschaute und versuchte, unter den vielen Menschen, die dort herumliefen, den einen auszumachen, der sie jetzt vielleicht beobachtete, aber sie sah natürlich nicht den, den sie suchte. Da lernte sie vielleicht unbewusst das erste Mal, dass sie nicht zu suchen hatte, sondern dass sie nur gefunden werden konnte. Franziska hatte die Rolle einzunehmen, die für sie schon immer vorgegeben war.«
    Pierre schwieg eine Weile. Er sah die Szene vor seinem geistigen Auge und schmeckte seine Eindrücke nach.
    »Ich habe sie warten lassen«, schmunzelte er dann. »Wir waren um fünf Uhr nachmittags verabredet. Es war ein heißer Augusttag. Ab zehn vor fünf stand sie an der Lampe, fünf vor fünf positionierte sie sich so, wie ich es verlangt hatte. Um zehn nach fünf ließ sie den Mast los und wollte gehen. Dann bin ich zu ihr gegangen, habe sie gerügt und sie dann umarmt. Danach sind wir ein Eis essen, später im Stadewäldchen spazieren gegangen. So lernten wir uns kennen, und ich begriff schnell, dass sie die Struktur hatte, die ich vermutete.«
    »War Antje nicht eifersüchtig?«
    »Sie war in gewisser Weise Mitspielerin. Antje, mit der ich genau nach diesem Prinzip lebe, dass jeder wechselnd der Herrscher des anderen und dann wieder dessen Objekt ist, schließlich wieder beide einander auf Augenhöhe begegnen, musste es aushalten, dass ich mich mit Franziska traf. Es war die Probe für uns, der wir uns gerade in dieser Zeit zu stellen hatten, was den Vorteil hatte, dass wir uns selbst überprüfen konnten, ob wir den Plan, den wir gerade verwirklichten, auch in aller Konsequenz bis zu seinem Ende umsetzen würden. Um es vorwegzunehmen: Wir haben unsere selbstauferlegte Prüfung bestanden, was natürlich nichts über unsere Zukunft aussagt.«
    »Franziskas Hingabewillen bedeutete ihr Todesurteil«, folgerte Marie, bemüht, ruhig zu sprechen.
    »Soweit war es noch nicht«, sagte Pierre, beseelt von der widerwärtigen Lust, seine Geschichte auszukosten und im Detail zu servieren. »Wir trafen uns fortan immer wieder. Ich gab Ort und Termin vor, und Franziska musste diszipliniert meinen Vorgaben folgen. Sie wusste, dass es vorbei gewesen wäre, wenn sie sich nicht daran gehalten hätte, aber es waren durchaus nicht nur Treffen, bei denen ich sie in irgendeiner Form beherrschte, sondern auch viele Momente, in denen wir miteinander die Zeit genossen und einfach schöne Dinge unternahmen.«
    »Moselgold und das Freibad zum Beispiel«, warf Marie ein.
    »Es gab noch viel mehr Sachen, die wir gemeinsam gemacht haben«, erklärte Pierre bereitwillig. »Nicht alle Situationen wurden von anderen so registriert, wie ich es mir gewünscht hätte«, erklärte er mit naivem Bedauern.
    »Sie haben als Pierre Brossard vermeintlich einen anderen Mann gespielt, der als solcher wiederum Pierre Brossard spielte«, sagte Marie.
    »Natürlich!«, bestätigte Pierre selbstgefällig. »Das Prinzip der doppelten Täuschung, wenn man so will.«
    »Das heißt, dass die scheinbaren Fehler im Rollenspiel, nämlich zum Beispiel die nicht passende Körpergröße bei der Körperverletzung an der Toilettentür im Moselgold oder der Hautfleck, der auf dem Bild vom Sprungbrett sichtbar ist, bewusst eingebaut
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