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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss
Autoren: Markus Orths
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zu, die Stimme, und sagt wieder was. Das trifft mich mit einer Wucht, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Sie haben bestimmt schon von mir gehört, Büro Woll, Lindenallee, Entwurf, Planung, Bauleitung, Facility Management, Nutzerkoordination. Ich habe alles getan, was ein Mann tun muss, wie man sagt, ich habe ein Haus gebaut, ein wunderbares Haus im Grünen, direkt beim Flüsschen, da kann man zu sich selbst finden, ich habe eine Frau und einen Sohn, mittlerweile lebt der in Australien, ist zweiundzwanzig, führt sein eigenes Leben, ich habe ihn zur Selbständigkeit erzogen, ich habe einen Baum gepflanzt, man soll doch einen Baum pflanzen, ich habe sogar mehrere gepflanzt in meinem Garten, ich habe also alles erledigt, was ein Mann tun soll, wie Konfuzius sagt oder wer auch immer: Kind, Haus, Baum, dazu mein Beruf. Bin glücklich gewesen, vor allem mit meiner Frau. Meine Frau und ich, wir sind seit mehr als fünfundzwanzig Jahren zusammen. Eigentlich kann ich mit allem, was mich bedrängt, zu meiner Frau gehen, nur als diese Stimme auftauchte, nein, das hab ich ihr verheimlicht, und jetzt, seit einer Woche, also nach meinem Auszug, die Sache ist nicht so einfach, wie sich das anhört, wissen Sie, ich tue mich selber schwer damit, klarzukommen, was passiert ist in meinem Leben, so ist das eben, da kann man nichts machen, und meine Frau wird mir niemals verzeihen, dass ich sie geschlagen habe. Aber da konnte ich nichts für, das war nicht ich selbst, das war eine Sache, die mir entglitten ist, ich hätte nie von mir aus meine Frau geschlagen, ich bin alles andere als ein gewalttätiger Mensch, das müssen Sie mir glauben, ich könnte keiner Fliege was zuleide tun, nein, ich weiß noch, als meine Klassenkameraden, wir waren damals zehn Jahre alt, eine Fliege gefangen und ihr die Flügel ausgerissen und das Feuerzeug auf maximale Flammengröße gestellt und mit einem Feuerstoß die Fliege weggezischt haben, die Fliege ist zusammengeschnurrt und war tot, da haben alle gelacht, nur ich, ich war entsetzt. Nein, dieser Schlag, das war kein Ausrutscher, es war keine Wut, nein, es war eine eiskalte Tat, es gab keinen Anlass dafür, und vielleicht war genau das der Anlass, dass es keinen Anlass gab, und danach musste ich ausziehen, natürlich, und ich danke Ihnen, Herr Mollenhaupt, dass Sie so schnell einen Termin für mich einrichten konnten. Soll ich Ihnen erzählen, wann ich zum ersten Mal die Stimme hörte? Vor fünf Wochen, ich weiß es genau, es war der letzte Tag meines Urlaubs, ein Sonntag, ich bummelte durch die Stadt, die Sonne schien, ich grinste und sagte mir, Mensch, Sebastian, du hast es geschafft, und ich zählte mir vor meinem geistigen Ohr all die Erfolge auf, all die Dinge, die mir in meinem Leben gelungen sind, all das, was ich Ihnen schon angedeutet habe, mehr, sagte ich mir, kann ein Mensch nicht erreichen, und vielleicht kennen Sie das, Herr Mollenhaupt, wenn Sie ein pures Glücksgefühl übermannt? Ich habe dieses Gefühl ausgekostet, es ist mir gelungen, was die meisten Menschen sich wie nichts auf der Welt wünschen, das anhaltende Glück, das konservierte Glück, es pulsiert nicht immer mit der gleichen Stärke, es gibt Momente, in denen es dem Leben einen wohligen Grundton verleiht, und Momente, in denen es so stark pocht und leuchtet und sprudelt, dass man es schier nicht aushalten kann, dass man geblendet ist und überschwemmt von der Urgewalt, und auch an diesem Sonntag war das so, dass ich nur die Augen schließen konnte, dort, in der Fußgängerzone, die Arme ausbreiten und sagen konnte: Ich bin es, der Glückliche. Ich stand vollkommen im Blitz, bis ich plötzlich merkte, dass da etwas geschah, dass da etwas über mich kam, wie ein Sausen zunächst, und ich wusste in diesem Augenblick schon, dass sich etwas ändern würde in meinem Leben, auf radikale Weise, fragen Sie mich nicht, woher ich das wusste, jedenfalls stand ich da und hörte die Stimme. Sie ging mir durch und durch, ich wankte, griff mir an die Stirn, beinah hätte sie mich buchstäblich umgeworfen, die Stimme, und ein Passant trat auf mich zu und fragte mich, ist Ihnen nicht gut, nein, sagte ich, mir ist nicht gut. Kommen Sie, sagte er und führte mich zu einer Bank, und ich setzte mich und erholte mich nur mühsam von den Worten der Stimme. Und ich wusste sofort, dass die Stimme nicht aus mir kam, ich hörte die Stimme nicht etwa mit inneren Ohren, nein, die Stimme war schon draußen, in der Welt, weshalb ich sofort den
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