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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd
Autoren: Martha Grimes
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abbezahlen.» Melrose wechselte das Thema. «Hat heute nicht die Schule wieder angefangen?» Das wird ihr vielleicht einen Dämpfer versetzen, dachte er mürrisch.
    Aus Shandys Box kam ein Geräusch, als würde sich jemand übergeben. «Morgen. Aber meine Mutter sagt, morgen müßte ich auf die Beerdigung. Ich hasse die Schule.»
    «Warum?» Aber wer unter fünfundzwanzig ging schon gern zur Schule?
    «Weil es einfach blöd ist. Man muß sich extra dafür anziehen und so ’n Quatsch.» Die Samtkappe und ein Augenpaar erschienen über der Tür. «Gehn Sie auch auf Katies Beerdigung?»
    «Ja, und du?»
    Die Falte zwischen ihren Brauen wurde tiefer. «Meine Mutter sagt, ich muß.»
    «Willst du denn nicht?»
    «Nein. Es ist zu traurig. Ich will nicht sehen, wie Katie zugeschaufelt wird.»
    «Keiner von uns will das.» Ihre Blicke bohrten sich in seine. Offensichtlich hatte sie etwas Tiefgründigeres erwartet. Melrose versuchte, sie von der Beerdigung abzulenken. «Komm, wir reiten zusammen aus!» Der Enthusiasmus, den er in seine Stimme legte, war alles andere als echt.
    «Sie? Ausreiten?»
    «Du brauchst dich gar nicht so zu haben.» Melrose stand von seinem Heuballen auf und klopfte sich die Hosen ab. «Ich habe in meinem Leben schon auf einigen Pferden gesessen.»
    Sie kam aus Shandys Box und musterte ihn so kritisch wie ein Schneider, der für einen Reitanzug Maß nehmen will. «Na schön … Die Bodenheims werden wohl nichts dagegen haben, wenn ich Ihnen die alte Nellie gebe.»
    «Die alte Nellie! Ich wage zu behaupten, daß ich es auch mit einem lebhafteren Pferd aufnehmen könnte.»
     
    Fünfzehn Minuten später konnte man Emily Louise Perk auf Shandy und Melrose Plant auf der alten Nellie davonreiten sehen – zwar nicht in einen Sonnenaufgang, aber doch in den feinen Septembernebel, der sich wie ein Schleier auf die Horndean Road senkte.

27
    « Ich traute meinen Augen nicht , als ich Sie den Weg hochkommen sah», sagte Mrs. Wasserman, die sich bemühte, mit Jurys langen Beinen Schritt zu halten, während sie zur Station Angel hinübergingen. Sie wohnte im Erdgeschoß eines Hauses in Islington, in dem auch Jury schon seit mehreren Jahren wohnte. «Ist etwas passiert? Wo ist denn Ihr Auto? Es ist doch hoffentlich nicht kaputtgegangen. Wollten Sie nicht ein paar Tage Urlaub machen?»
    Jury lächelte. Es klang, als hätte er sein Auto irgendwo verloren und seinen Urlaub vergessen. «Sie wissen doch, wie das ist, Mrs. Wasserman – es kam wieder was dazwischen.»
    Sie waren beinahe da. Mrs. Wasserman haßte diese Underground-Station. Sie haßte die verschmierten Plakate und den Aufzug, in dem man sich so eingesperrt fühlte, und die Ausländer, die dort arbeiteten. Manchmal ging sie bis zur Highbury-Islington-Station und fuhr dann mit dem Bus zurück, nur um nicht am Angel einsteigen zu müssen.
    Sie gab Jury eine Pfundnote für ihren Fahrschein und erzählte ihm von ihrer letzten Begegnung mit dem Mann, der sie angeblich schon seit Jahren verfolgte. «Ich sah ihn, als ich von der Highbury-Station die Islington High Street entlangging. Dort ist nämlich ein Gemüsehändler, bei dem ich besonders gern einkaufe. Er ist mir nachgegangen. Erinnern Sie sich an den Park? Wir sind auch mal dort gewesen, und Sie fanden, die beiden Bäume an der Ecke sähen wie Tänzer aus, weil ihre Äste so ineinander verschlungen sind.» Nervös klappte sie ihr schwarzes Portemonnaie auf und zu. «Dort stand er, gleich neben den Bäumen. Und solange ich im Laden war, blieb er da auch stehen.» Das Portemonnaie gegen den Busen gepreßt, schwankte sie leicht hin und her.
    Während Jury in der kurzen Schlange vor der Fahrkartenausgabe wartete, holte er sein Notizbuch hervor. «Können Sie ihn bitte noch einmal beschreiben?» Es war ein Ritual, das sie jedesmal wiederholten.
    «Ich hab ihn schon so oft beschrieben, Mr. Jury», sagte sie mit einem traurigen kleinen Kopfschütteln und einem traurigen kleinen Lächeln. Jury fühlte sich in die Rolle des pflichtvergessenen Neffen gedrängt, auf den sie sich verlassen und der sie bitter enttäuscht hatte; da er aber noch so jung und unschuldig und vielleicht auch ein bißchen einfältig war, mußte man ihm einiges durchgehen lassen. Schließlich hatte er ja auch seinen Urlaub vergessen und sein Auto verloren. «Also gut, er war klein und trug einen braunen Anzug und einen braunen Mantel. Und einen braunen Filzhut. Seine Augen sahen irgendwie verschlagen aus. Ja, verschlagen.»
    Jury notierte es
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