Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
aufgefallen …?»
    «Absolut.»
    Swann beugte sich – fast so, als überarbeite er das Winslow-Porträt noch einmal – nach vorn und trug eine dünne, blaßgelbe Lasurschicht auf. «Das wär’s, denke ich. Wenn die drei allein zusammen sind jedenfalls, sind sie mehr als die Summe ihrer Teile. Sie sind ein Gemälde , Mr. Jury. Das reine Gemälde. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht auf praktischere Art behilflich sein kann – wann David in den Running Footman kam, wann er wieder ging et cetera, aber ich weiß es einfach nicht. Was Ivy Childess betrifft, so habe ich sie nur an diesem einen Abend gesehen und auch da nicht lange. Ich blieb nur ungefähr eine halbe Stunde. Ich hasse Cocktailparties. Nehme lieber einen Schluck im Shepherd Tavern. Ich hoffe, es wird nicht zu schlimm für David. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, daß er das Mädchen umgebracht hat.» Er zuckte die Achseln und wirkte wirklich bekümmert, weil er weder Jury noch David Marr helfen konnte.
    «Es gibt da noch ein Gemälde, Mr. Swann, ein Porträt, das doch wahrscheinlich auch Sie gemalt haben.»
    «Ja, Rose und Phoebe. Rose Winslow hat Edward sitzenlassen. Stellen Sie sich das mal vor», fügte er hinzu und schüttelte den Kopf.
    Das klang, als ob ein solches Benehmen von einem von ihnen bei den anderen zum völligen Abbruch der Beziehungen führen würde. Jury dachte an Hugh Winslow. «Haben Sie mal was von einem anderen Mann gehört, der Rose Winslow vielleicht verführt haben könnte?»
    Paul Swann starrte ihn an, dann lachte er. «Rose verführen? Du lieber Gott, eher nähme ich an, daß es sich andersherum verhalten würde. Armer Ned.»
    «Hat David Marr sie je erwähnt?»
    «Ja. Er mochte sie nicht. Schließlich war sie auch nicht besonders liebenswürdig, wissen Sie.»
    Mit etwas gedämpfter Stimme sagte Wiggins: «Schon komisch, daß sie unter diesen Umständen ihr Bild nicht abhängen.»
    «Das ist wegen Phoebe», sagte Swann. «Es ist wirklich alles, was ihnen von Phoebe geblieben ist.»
    Jury blickte auf das Aquarell, das seltsam milchige Licht des Nebels, das den Pier umgab und das er festgehalten hatte. «Hat Marr vor Ihnen je eine Frau namens Sheila Broome erwähnt?»
    «Broome? Nein, nie.»
    «War auch nur eine vage Vermutung, Mr. Swann. Vielen Dank.»
    Wiggins hatte das Aquarell eingehend betrachtet: «Wissen Sie, das ist richtig gut. Dieses Gelb, das Sie gerade aufgetragen haben. Verändert die Sache tatsächlich völlig. Macht alles irgendwie schwebend.»
    «Ah, ganz genau, Mr. Wiggins. Danke. Sie haben ein hervorragendes Auge. Greifen Sie auch selber zu Pinsel und Farbe?»
    «Ein wenig», sagte Wiggins, ohne zu zögern. «Als Sonntagsmaler, gewissermaßen.»
    Jury blickte hinaus aufs Meer. Wann immer Wiggins mit Kunst, Literatur oder Musik konfrontiert wurde, tauchte eine ganz neue Person aus dem Nebel auf und nahm vor Jurys Augen Gestalt an. Zumindest begann Wiggins jetzt, wo Swann sich wie ein Kollege mit ihm unterhielt, sich den labyrinthischen Schal vom Hals zu wickeln.
    Und Paul Swann in die Elitetruppe jener aufzunehmen, die Wiggins gern vor dem sicheren Tod errettet hätte. «Möchten Sie eine, Mr. Swann?»
    Paul Swann dankte und hielt die bernsteinfarbene, rautenförmige Pastille in das nachlassende Licht. «Wahrhaftig eine bemerkenswerte Farbe.»
    «Das habe ich auch immer gefunden, Mr. Swann», sagte er unschuldig und hielt ebenfalls eine Pastille hoch.
    Jury scharrte in den zerbrochenen Muschelschalen zu seinen Füßen und bedauerte, daß sein unkünstlerisches Auge nichts als beigen Strand und graues Wasser wahrnahm. Die Unterhaltung hatte sich inzwischen auf die Literatur verlagert.
    «Manchmal frage ich mich, ob Coleridges Traum von Kublai Khan wohl durch Georg IV. und seine Pläne für den Pavillon inspiriert waren. Die Renovierungsarbeiten waren ja bereits ein Jahrzehnt im Gange, als er den ‹Kublai Khan› schrieb.» Paul Swann lächelte. «‹Wie blitzt sein Aug! Wie fließt sein Haar!› Können Sie sich ein besseres Vorbild für ihn vorstellen als den Prinzregenten, der ‹Honigtau gespeist› und ‹Milch vom Paradies› getrunken hat?»
    «So habe ich das eigentlich noch nie betrachtet», sagte Wiggins.
    Jury schüttelte den Kopf. Falls er das überhaupt schon jemals betrachtet hatte, war Jury das neu.
    «Und Mrs. Fitzherbert, die einzige Frau, die Georg nach eigenem Bekunden je geliebt hat, wäre doch auch das ideale Vorbild für die arme Frau, die ‹wehklagend ihres Geisterfreunds
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher