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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz
Autoren: Bruce Sterling
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Haares, und ihre Augen waren dramatisch betont. Laura wußte nicht, was sie von ihr halten sollte. Sie sah wie die Witwe eines Pharaos aus. »Das ist sie«, sagte Mrs. Rodriguez zu der Fremden. »Mrs. Webster, unsere Geschäftsführerin.«
    »Koordinator«, sagte Laura. »Ich bin Laura Webster.«
    »Ich bin Reverend Morgan. Ich hatte angerufen.«
    »Ja. Wegen der Stadtratswahlen?« Laura drückte auf einen der Knöpfe ihrer Uhr und überprüfte den Terminplan. Die Frau war eine halbe Stunde zu früh. »Gut«, sagte sie. »Kommen Sie um den Schalter, dann können wir in meinem Büro sprechen.«
    Laura führte die Frau in das vollgestellte und fensterlose kleine Nebenbüro. Es diente hauptsächlich als Pausenraum für das Personal, das dort Kaffee trinken konnte, und hatte einen Datenanschluß zum Hauptbüro im Obergeschoß. In dieses Nebenbüro führte Laura Besucher, von denen sie erwartete, unter Druck gesetzt zu werden. Der Raum sah angemessen bescheiden und ärmlich aus. David hatte ihn mit Gegenständen von seinen Abbruchexpeditionen dekoriert: antiken Autositzen und einem gerundeten Schreibtisch aus alterssprödem beigem Kunststoff. Die Deckenlampe schien durch eine perforierte Nabenkappe.
    »Kaffee?« fragte Laura.
    »Nein, danke. Ich nehme nie Koffein.«
    »Ich verstehe.« Laura stellte den Wasserkessel beiseite.
    »Was können wir für Sie tun, Reverend?«
    »Sie und ich, wir haben viel gemeinsam«, sagte Reverend Morgan. »Wir teilen die Zuversicht in Galvestons Zukunft. Und wir haben beide auf den Fremdenverkehr gesetzt.« Sie hielt inne. »Ich hörte, ihr Mann habe dieses Gebäude entworfen?«
    »Ja, so ist es.«
    »Ich würde es ›Organisches Barock‹ nennen. Es ist ein Stil, der Mutter Erde respektiert. Das verrät eine weitherzige Einstellung. Zukunftsgerichtet und fortschrittlich.«
    »Danke.« Jetzt kommt es, dachte Laura.
    »Unsere Kirche würde Ihnen gern helfen, die Dienstleistungen an Ihren Firmengästen zu erweitern. Kennen Sie die Kirche von Ischtar?«
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte Laura. »Bei Rizome betrachten wir Religion als Privatangelegenheit.«
    »Wir Tempelfrauen glauben an die Göttlichkeit des Geschlechtsaktes.« Reverend Morgan lehnte sich in ihren Autositz zurück und strich sich mit beiden Händen übers Haar. »Die erotische Kraft der Göttin kann das Böse zerstören.«
    Endlich dämmerte es Laura. »Ich verstehe«, sagte sie höflich. »Die Kirche von Ischtar. Ich kenne Ihre Bewegung, hatte aber den Namen nicht gleich wiedererkannt.«
    »Es ist ein neuer Name für alte Prinzipien. Sie sind zu jung, um sich des Kalten Krieges zu erinnern.« Wie manche anderen ihrer Generation schien sie geradezu nostalgische Empfindungen zu hegen - die gute alte bilaterale Zeit. Als die Dinge noch einfacher lagen und jeder Morgen der letzte sein mochte. »Weil wir ihm ein Ende machten. Wir riefen die Göttin an, daß sie den Männern der Krieg austreibe. Wir schmolzen den Kalten Krieg mit göttlicher Körperwärme.« Sie rümpfte die
    Nase: »Natürlich beanspruchten männliche Machtpolitiker das Verdienst für sich. Aber der Triumph gehörte unserer Göttin. Sie bewahrte Mutter Erde vor dem nuklearen Wahnsinn. Und sie fährt bis zum heutigen Tag fort, die Gesellschaft zu heilen.«
    Laura nickte zuvorkommend.
    »Galveston lebt vom Tourismus, Mrs. Webster. Und Touristen erwarten gewisse Annehmlichkeiten. Unsere Kirche ist zu einer Übereinkunft mit der Stadtverwaltung und der Polizei gelangt. Wir streben eine Verständigung auch mit Ihrer Gruppe an.«
    Laura rieb sich das Kinn. »Ich glaube, ich kann jetzt Ihrer Überlegung folgen, Reverend.«
    »Keine Zivilisation hat jemals ohne uns existiert«, sagte Reverend Morgan. »Die Tempelprostituierte ist eine seit dem Altertum belegte, universale Gestalt. Das Patriarchat hat sie entwürdigt und unterdrückt. Aber wir stellen ihre ursprüngliche Rolle als Trösterin und Heilerin wieder her.«
    »Ich wollte gerade den medizinischen Gesichtspunkt ansprechen«, sagte Laura.
    »O ja«, erwiderte die Frau. »Wir treffen alle Sicherheitsvorkehrungen. Klienten werden auf Syphilis, Tripper, Chlamydien, Herpes und die Retroviren untersucht. Alle unsere Tempel verfügen über komplett ausgestattete Kliniken. Die Rate der Geschlechtskrankheiten sinkt dramatisch, wo wir unsere Kunst praktizieren - ich kann Ihnen Statistiken zeigen. Wir bieten außerdem Gesundheitsversicherung. Und wir garantieren selbstverständlich
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