Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
hatte. Damit blieb für uns Unentwegte um so mehr Platz. Wir geborenen Insulaner, wir sind eine eigene Rasse.« David lächelte selbstbewußt. »Um hier zu leben, muß man eine einfältige Liebe zum Unglück haben. Isla Malhadado war Galvestons erster Name, mußt du wissen. Unglücksinsel.«
    »Warum?« fragte Lauras Mutter, die ihm gefällig sein wollte.
    »Cabeza de Vaca nannte sie so. Seine Galeone erlitt hier 1528 Schiffbruch. Er wäre beinahe von Kannibalen gefressen worden. Karankawa-Indianern.«
    »So? Nun, die Indianer müssen auch einen Namen für die Insel gehabt haben.«
    »Den kennt niemand«, sagte David. »Die Indianer starben alle an den Pocken. Echte Galvestonier, wie du siehst - Pechvögel.« Er dachte darüber nach. »Ein sehr merkwürdiger Stamm, die Karankawas. Sie pflegten sich mit ranzigem Alligatorenfett einzureiben - waren berühmt für den Gestank.«
    »Ich habe nie von ihnen gehört«, sagte Margaret Day.
    »Sie waren sehr primitiv«, sagte David und spießte ein weiteres Stück des Scop-Pfannkuchen auf die Gabel. »Sie aßen Erde! Wenn sie einen Hirsch erlegt hatten, gruben sie ihn für drei oder vier Tage ein, bis er weich wurde, und dann...«
    »David!« sagte Laura.
    »Oh, entschuldige«, sagte David. Er wechselte das Thema. »Du solltest heute mit uns kommen, Margaret. Rizome hat ein gutes kleines Nebengeschäft mit der Stadtverwaltung. Sie beschließt den Abbruch baufälliger Häuser, wir führen ihn durch, und alle haben ihren Spaß dabei. Natürlich ist es keine große Einnahme, nicht nach zaibatsu-Vorstellungen, aber das Leben besteht nicht nur aus der Endsumme unter dem Strich.«
    »Der reinste Vergnügungsort«, sagte ihre Mutter.
    »Ich sehe, daß du unserem neuen Bürgermeister zugehört hast«, sagte Laura.
    »Macht ihr euch keine Sorgen wegen der Leute, die es heutzutage nach Galveston zieht?« fragte ihre Mutter.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich habe über euren Bürgermeister gelesen. Er ist ein ziemlich seltsamer Typ, nicht? Ein ehemaliger Barkeeper mit einem weißen Vollbart, der im Amt Hawaiihemden trägt. Anscheinend läßt er nichts unversucht, um - wie heißt das Wort? - Randgruppen nach Galveston zu locken.«
    »Nun ja, es ist keine richtige Stadt mehr, verstehst du«, sagte David. »Keine Industrie mehr. Die Baumwolle ist weg, die Schiffahrt ist weg, das Öl ist auch schon lange weg. Was bleibt übrig, außer den Touristen Glasperlen zu verkaufen? Und ein bißchen… ah… gesellschaftliche Exotik fördert den Tourismus. Ein Fremdenverkehrsort muß ein bißchen locker geführt werden.«
    »Also gefällt euch der Bürgermeister? Soviel ich weiß, unterstützte Rizome seinen Wahlkampf. Heißt das, daß eure Firma seine Politik unterstützt?«
    »Wer fragt danach?« sagte Laura ein wenig gereizt.
    »Mutter, du bist in Ferien. Laß Marubeni & Co. ihre eigenen Antworten finden.«
    Ihre Blicke bohrten sich für einen Moment ineinander. »Ainmasen«, sagte ihre Mutter schließlich. »Es tut mir leid, wenn ich den Eindruck erweckte, neugierig zu sein. Ich habe zu viele Jahre im Außenministerium verbracht. Die Reflexe sind noch da, obwohl ich jetzt in dem bin, was man Privatunternehmen nennt.« Sie legte ihre Eßstäbchen nebeneinander auf den Teller und griff über die Schulter nach ihrem Hut. »Ich habe beschlossen, heute ein Segelboot zu mieten. Es soll draußen im Meer eine Station geben - OPEC, oder so ähnlich.«
    »OTEK«, berichtigte David. »Das Kraftwerk. Ja, es ist hübsch da draußen.«
    »Dann sehen wir uns zum Abendessen. Seid brav, ihr zwei.«
    Vier weitere Kanadier kamen gähnend zum Frühstück herein. Margaret Day arbeitete sich an ihnen vorbei und verließ den Speiseraum.
    »Du mußtest ihr auf die Zehen treten«, sagte David. »Was gibt es an Marubeni auszusetzen? Eine verknöcherte alte japanische Handelsgesellschaft. Glaubst du, sie schickten deine Mutter hierher, um unsere Mikrochips zu klauen, oder was?«
    »Sie ist ein Gast von Rizome«, sagte Laura. »Ich mag nicht, daß sie unsere Leute kritisiert.«
    »Sie reist morgen ab«, erwiderte David. »Du könntest ein wenig umgänglicher mit ihr sein.« Er stand auf und ergriff seinen Werkzeugkasten.
    »Also gut, es tut mir leid«, sagte Laura. Jetzt war nicht die Zeit, sich darüber zu verbreiten. Der Geschäftstag nahm seinen Anfang.
    Sie grüßte die Kanadier und nahm ihnen das Baby ab. Sie gehörten zum Produktionszweig einer Tochtergesellschaft von Rizome in Toronto und hatten den Ferienaufenthalt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher