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Insektenstachel

Insektenstachel

Titel: Insektenstachel
Autoren: André Minninger
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›Fremdwörterlexikon‹, auf einem anderen ›Die größten Verbrechen der Weltgeschichte‹ und gleich daneben entdeckte er ›Alfred Hitchcocks Filmarchiv‹. Ehrfurchtsvoll zog er den in Leder gebundenen Bildband heraus, auf dessen Umschlag ein Foto des berühmten Filmregisseurs abgebildet war. Justus kannte dieses Buch. Er hatte es schon mehrmals im Bücherantiquariat in den Händen gehalten. Doch der Verkäufer wollte nicht mit sich handeln lassen; er war nicht bereit, den seltenen Prachtband unter 300 Dollar herzugeben.
    »Alle Kisten sind nach Themen- und Sachgebieten sortiert«, erklärte Mrs Hazelwood. Sie öffnete eine weitere Kiste, fuhr mit den Fingern über die Buchrücken und zog ein Exemplar hervor, welches sie Onkel Titus entgegenhielt. »Van Gogh – Die frühen Werke des Meisters. Es ist eine Erstausgabe von 1946.«
    Onkel Titus nahm das Buch des begnadeten Malers vorsichtig entgegen. Er wusste, dass er einen kostbaren Schatz in den Händen hielt.
    »Von ›Die Geschichte des Dritten Reiches‹ über die ›Vertreibung der Indianer‹ bis zur ›Eroberung des Weltraums‹ ist alles vorhanden«, fuhr Mrs Hazelwood fort. »Von Mark Twain bis Albert Einstein. Von Mozart bis zu den Beatles. Diese Bibliothek umfasst exakt eintausendundvierzig Bücher. Ohne Eselsohren und Fettflecke.«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort.« Justus blätterte noch immer fasziniert in dem Hitchcock-Band. Er konnte seinen Blick kaum von den zahlreichen Fotos lösen. »Der Zustand dieses Buches ist um ein Vielfaches besser als das Exemplar in Mr Dummers Antiquariat.«
    Mrs Hazelwood stieß einen verächtlichen Laut aus. »Diesem elenden Halsabschneider werde ich kein einziges Buch mehr zukommen lassen. Als er hier vor Jahren seinen Laden eröffnete, war ich so töricht, ihm eine Enzyklopädie der amerikanischen Geschichte zu verkaufen. Eine Erstausgabe aus dem Jahre 1904. Ich hatte nämlich das Glück, zwei von ihr zu besitzen. Du weißt, was eine Enzyklopädie ist, junger Mann?«
    Justus richtete sich zu voller Größe auf und blickte Mrs Hazelwood klar ins Gesicht. Ihre Augen waren hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille nicht zu erkennen. Stattdessen spiegelte sich darin sein strahlendes Konterfei. »Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man darunter die Gesamtheit des Wissens. Ein Nachschlagewerk über alle Wissensgebiete in alphabetischer oder systematischer Form.«
    Ein anerkennendes Lächeln umspielte die Mundwinkel der Dame, ehe sie in zornigem Tonfall fortfuhr. »Wie dem auch sei. Mr Dummer war von dem seltenen Exemplar hellauf begeistert! Er teilte mir aber zugleich mit, dass er mir dafür höchstens 50 Dollar zahlen könne. Das Buch sei zwar kostbar, aber es sei schwierig, einen neuen Käufer zu finden.«
    »Haben Sie es ihm trotzdem für 50 Dollar überlassen?«, wollte Justus wissen.
    Mrs Hazelwood nickte. »Allerdings, das habe ich. Um dann von Freunden zu erfahren, dass sie es in seinem Schaufenster wiederentdeckt haben. Mr Dummer hatte es zu einem Preis von 420 Dollar zum Verkauf angeboten!«
    »Eine Frechheit«, kommentierte Onkel Titus mit Überzeugung und legte den Van-Gogh-Bildband in die Kiste zurück.
    »Natürlich wusste ich, dass das Buch wertvoll war«, erregte sich die Dame noch immer. »Aber ich dachte, Mr Dummer wäre eine ehrliche Haut und würde das Exemplar an einen geschichtsinteressierten Kunden günstig weiterverkaufen.«
    »Es geht mich zwar nichts an«, formulierte Justus vorsichtig, »aber wenn ich all diese kostbaren Bücher hier sehe, gibt es für mich keinen nachvollziehbaren Grund, diese zum Teil seltenen Ausgaben an einen Gebrauchtwarenhandel zu veräußern. Diese fantastische Bibliothek! Wie können Sie sich nur davon trennen? Selbst wenn Sie sich in einer finanziellen Notlage befinden sollten, verstehe ich Sie nicht.«
    Mrs Hazelwood zuckte zusammen. Dann senkte sie ihre Stimme. »Du bist noch jung. In deinem Alter kann man sich noch nicht vorstellen, dass es auch andere Gründe gibt, sich von seiner innig geliebten und akribisch zusammengestellten Sammlung, die einem im Laufe der Jahre wahrlich ans Herz gewachsen ist, zu trennen.«
    Justus fühlte sich von Mrs Hazelwoods Worten verletzt. Ihm passte es gar nicht, dass ihn die Dame wie ein kleines Kind behandelte. Er ging in die Offensive. »Vielleicht bin ich noch nicht ganz erwachsen. Dennoch sehe ich, mal abgesehen von einem finanziellen Problem, keinen Anlass, diese Kunstschätze komplett zu veräußern. Zumal Ihr Herz
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