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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen!
Autoren: Simon Rich
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abheben, schüttelte sie ruckartig den Kopf im Takt.
    »Heilige Scheiße«, sagte Eliza. »Die ist ja genauso schlecht wie er.«
    Sie lehnten sich auf ihren Stühlen zurück und beobachteten erstaunt die Menschen, die einander umkreisten und die schrecklichen Bewegungen des jeweils anderen nachahmten. Sie tanzten beide auf dieselbe Weise schlecht. Und obwohl keiner von beiden dem Rhythmus folgte, zuckten ihre Körper im Gleichklang miteinander.
    Als endlich die letzte Strophe begann, ahmte Laura mit der Faust ein Mikrophon nach und hielt es Sam vor die Nase. Er packte sie am Handgelenk und sang scheußlich in ihre Finger. Der Song war zu Ende, und sie brachen in Gelächter aus, nahmen die entgeisterten Blicke der Stammgäste und den zynischen Applaus des Barmanns gar nicht wahr.
    » Wollen wir raus hier?« , fragte Laura atemlos.
    Sams Lächeln erstarb, und das Blut wich aus seinem Gesicht. »Okay«, sagte er.
    Sie ging zur Tür, und er folgte ihr hinaus in die Nacht.
    Craig wandte sich seinen Kollegen zu, seine Lider zuckten vor Aufregung.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Eliza.
    »Wir beobachten weiter«, sagte er.
    Aus dem Pausenraum war ein lauter Knall zu hören, gefolgt von unflätigem Gejohle. Sweet Home Alabama lief in einer Endlosschleife, und immer wenn das Gitarrenriff vom Anfang erklang, verfiel die gesamte Partygesellschaft in tosenden Applaus.
    »Alle nackig ausziehen!«, grölte Brian mit bereits heiserer Stimme. » Nackig!«
    Craig öffnete ein neues Fenster und gab Gottes Propheten, Raoul, in die Suchmaschine ein. Er fand ihn vor einem Taco Bell in Flushing. Er saß allein an einem Tisch und starrte einen Riesenberg Essen an. Er hatte sich über ein Dutzend Tacos gekauft, dazu eine extra große Familienportion Nachos und eine Art Schokoladengordita. Die Engel sahen zu, wie der Prophet seine Timex vom Handgelenk nahm. Er legte die Uhr neben sein Mineralwasser, griff nach einer Plastikgabel und fing ruhig an zu essen.
    »Oh Gott«, flüsterte Eliza. »Ist das …?«
    Craig nickte. »Das ist seine letzte Mahlzeit.«
    Craig zoomte aus dem Taco Bell raus und fort aus Flushing und New York, immer weiter weg, bis der Kontinent Gestalt annahm; die zerklüftete Ostküste, der unergründliche Ozean, die diesigen Wolkenfetzen in der Atmosphäre darüber. Schon bald sahen sie den gesamten Planeten, eine bläuliche Kugel, grün bekleckst und mit funkelnden Städten gesprenkelt.
    Craig klickte mit seiner Maus, zoomte wieder auf die Lower East Side. Die beiden Menschen hatten gerade das Last Call verlassen. Es war 23:06 Uhr.
    »Kommt schon«, flüsterte er in den Bildschirm. »Kommt schon, Freunde. Vermasselt es nicht.«
    Erde – vierundfünfzig Minuten bis zum Weltuntergang
    Sam und Laura standen draußen vor dem Last Call, vermieden verlegen jeden Blickkontakt.
    »Ich geh immer hier lang«, sagte Sam. »Und du?«
    »Ich auch«, log sie.
    »Super!«, sagte Sam ein kleines bisschen zu laut. »Das ist super!«
    Sie gingen langsam die Straße entlang, hielten ungefähr zwei Armlängen Abstand zueinander. Sam merkte erschrocken, dass sie bereits an der Delancey Street angekommen waren. Wenn er sie küssen wollte, musste es bis zur übernächsten Straßenecke passieren.
    »Ich bin froh, dass es nicht mehr schneit«, sagte er.
    Laura lachte, als wär’s ein Witz gewesen. »Ich auch!«
    Sie blieben an einer Ampel stehen. Sam fiel ein, dass dies die perfekte Gelegenheit war, um zur Tat zu schreiten, doch genau in dem Augenblick schaltete die Ampel auf Grün. Sie trotteten müde weiter durch die Nacht.
    Laura tastete in ihrer Tasche nach Pfefferminzbonbons und merkte, dass sie sie in der Bar liegengelassen hatte. Sicher roch ihr Atem fürchterlich.
    Auch Sam dachte an seinen Atem. Er hatte ein Päckchen Kaugummi in der Tasche. Aber in welcher? Er überlegte noch, ob er danach suchen sollte, als sie bereits an seiner Wohnung angekommen waren.
    »Wohnst du hier?«, fragte Laura.
    »Ja«, sagte Sam und zeigte ziemlich blöde auf die Hausnummer. »Ludlow dreiundneunzig!«
    Er spürte, wie kalte Schweißtropfen aus den Poren seiner Achseln traten. Bevor er weggegangen war, hatte er zum ersten Mal seit Wochen sein Bett gemacht, nur für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass er Laura irgendwie würde überzeugen können, mit zu ihm nach Hause zu kommen. Unmöglich konnte er jetzt allein in dieses Bett mit der absurd gefalteten Decke und den gewissenhaft aufgeschüttelten Kissen gehen. Das wäre mehr, als er ertragen konnte.
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