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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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Luciano. Er sah Dion über den Schreibtisch hinweg an. »Was hättest du mit dem Schwarzbrenner gemacht?«
    Dion blickte hilfesuchend zu Joe.
    »Du sollst nicht ihn angucken«, sagte Luciano, »sondern mich. Raus mit der Sprache.«
    Doch Dion sah weiter Joe an, bis Joe sagte: »Sag ihm die Wahrheit, D.«
     »Ich hätte ihn umgelegt, ohne mit der Wimper zu zucken, Mr.   Luciano. Und seine Söhne ebenso.« Er schnippte mit den Fingern. »Ich hätte seine gesamte Familie ausgelöscht.«
    »Und die Predigerin?«
    »Die hätte ich verschwinden lassen. Spurlos, meine ich.«
    »Warum?«
    »Ihre Anhänger hätten sie zu einer Heiligen verklärt, sich weisgemacht, sie wäre gen Himmel entschwebt oder so. Aber gleichzeitig hätten sie genau gewusst, dass wir sie in Wirklichkeit in Stücke gehackt und an die Reptilien verfüttert haben, und lieber Lobgesänge auf sie angestimmt, als uns noch mal ins Gehege zu kommen.«
    »Pescatore hat mir gesagt, du wärst eine Ratte.«
    Dion zuckte mit den Schultern.
    »Ich hab das nie geglaubt.« Luciano sah Joe an. »Warum solltest du jemanden zu deiner rechten Hand machen, dem du ein paar Jahre Knast zu verdanken hast?«
    »Eben«, erwiderte Joe.
    Luciano nickte. »Ganz meine Meinung. Daher haben wir auch versucht, dem Alten seinen Plan auszureden.«
    »Aber Sie haben die Sache abgesegnet.«
    »Nur für den Fall, dass du dich weigerst, unsere Lastwagen zu benutzen und mit unseren Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.«
    »Davon hat Maso kein Wort verlauten lassen.«
    »Nein?«
    »Nein, Sir. Er hat von mir verlangt, meinen Platz für seinen Sohn zu räumen. Außerdem sollte ich meinen Freund töten.«
    Luciano musterte ihn schweigend.
    »Okay«, sagte er schließlich. »Lass deinen Vorschlag hören.«
    Joe deutete mit dem Daumen zu Dion hinüber. »Machen Sie ihn zum Boss.«
    »Was?«, platzte Dion heraus.
    Zum ersten Mal lächelte Luciano. »Und du bleibst uns als Consigliere erhalten?«
    »Ja.«
    »Moment mal«, sagte Dion. »Ich…«
    Lucianos Lächeln erlosch, und jetzt ließ sich Dion nicht länger bitten.
    »Es wäre mir eine Ehre«, sagte er.
    »Wo bist du geboren?«, fragte Luciano.
    »In einem kleinen Dorf auf Sizilien. Manganaro heißt es.«
    Luciano hob die Augenbrauen. »Ich komme aus Lercara Friddi.«
    »Oh«, sagte Dion. »Aus der Stadt.«
    Luciano kam um den Tisch herum. »Stadt? So was kann nur jemand sagen, der aus einem Kuhkaff wie Manganaro stammt.«
    Dion nickte. »Deshalb sind wir ja ausgewandert.«
    »Wann war das? Steh auf.«
    Dion erhob sich. »Damals war ich acht.«
    »Und? Wann warst du zuletzt dort?«
    »Zuletzt? Warum sollte ich je dorthin zurückkehren?«
    »Weil dort deine Wurzeln liegen. Dort brauchst du niemandem etwas vorzumachen, kannst allen zeigen, wer du bist .« Er legte Dion einen Arm um die Schultern. »Und du bist ein echter Boss.« Er deutete auf Joe. »Und er hat Köpfchen. Lasst uns was essen gehen. Hier um die Ecke in meinem Lieblingslokal. So eine Bratensauce gibt’s in New York kein zweites Mal.«
    Sie verließen das Büro, und sofort waren vier Männer an ihrer Seite, die sie zum Fahrstuhl begleiteten.
    »Joe«, sagte Lucky. »Ich muss dich unbedingt meinem alten Freund Meyer vorstellen. Wir haben nämlich vor, in Florida und Kuba ein paar Kasinos aus dem Boden zu stampfen.« Und nun legte er Joe den Arm um die Schultern. »Hast du dich schon mal näher mit Kuba beschäftigt?«

27
    Pinar del Río
    Neun Jahre waren seit dem Überfall auf das Speakeasy in Südboston vergangen, als Joe Coughlin und Emma Gould sich im Spätfrühling des Jahres 1935 in Havanna wiedersahen. Er erinnerte sich genau, wie kühl und abgeklärt sie ihm an jenem frühen Morgen begegnet war, mit welcher Macht sie ihn in ihren Bann gezogen hatte. Er war schlicht hingerissen von ihr gewesen, hatte erst seine Leidenschaft mit Verliebtheit und schließlich den Überschwang seiner Gefühle mit Liebe verwechselt.
    Inzwischen lebten Graciela und er seit knapp einem Jahr auf Kuba. Zunächst hatten sie in einem Gästehaus auf einer von Estebans Kaffeeplantagen in den Bergen von Las Terrazas gewohnt, etwa fünfzig Meilen westlich von Havanna. Morgens umgab sie der Duft von Kaffeebohnen und Kakaoblättern, während draußen der Frühnebel in den Bäumen hing und Tau von den Zweigen tropfte, und wenn sie am Abend Spaziergänge unternahmen, konnten sie beobachten, wie sich Fetzen verblassenden Sonnenlichts in den Baumwipfeln verfingen.
    An einem Wochenende kamen Gracielas Mutter und
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