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In den W?ldern tiefer Nacht

In den W?ldern tiefer Nacht

Titel: In den W?ldern tiefer Nacht
Autoren: Amelia Atwater-Rhodes
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fest aus, ohne Zögern und trotz dessen, was ich fühlte. Ich brannte, durch meine Adern lief Staub. Ich dachte an Blut und sehnte mich danach wie nach Wasser an einem langen, heißen Tag. Ich wußte, was Ather meinte, wenn sie von »jagen« sprach, aber ich würde nicht töten, um meinen eigenen Schmerz zu stillen. Ich war schließlich kein Tier. Ich war ein Mensch... Zumindest hoffte ich, daß ich ein Mensch war. Was hatte Ather mir nur angetan?
      »Risika«, erklärte sie mir, »wenn du nicht trinkst, wird das Blut, das ich dir gegeben habe, dich töten.« Sie versuchte nicht, mich zu überreden, sie stellte nur die Fakten dar. »Es wird ein paar Tage dauern, bis du wirklich tot bist, aber morgen bei Sonnenuntergang wirst du schon zu schwach sein, um selbst zu jagen, und ich werde dich nicht füttern. Jagen oder sterben – eine andere Wahl hast du nicht.«
      Ich zögerte, während ich mir den Kopf zermarterte. Ich sollte nicht jagen, und dafür gab es einen guten Grund. Jemand, den ich kannte, hätte sich dem entgegengestellt, jemand, den ich liebte, an den ich mich aber nicht erinnern konnte... Es gelang mir einfach nicht. Mir wollte nur ein einziger Grund einfallen, den auch die Prediger mir mein ganzes Leben lang eingetrichtert hatten: weil Töten Sünde war.
      Aber aus freiem Willen zu sterben war genauso eine Sünde. Vielleicht war ich bereits verdammt.
      »Dummes Kind«, sagte Ather. »Sieh dich im Spiegel an und sage mir, daß deine Kirche dich nicht für das, was du bist, verdammen würde. Willst du etwa das Leben, das ich dir geschenkt habe, aufgeben, nur um die Seele zu retten, die dein Gott verdammt hat?«
      »Ich werde meine Seele nicht verkaufen, um mein Leben zu retten«, sagte ich,    obwohl ich mir dessen gar nicht so sicher war. Meine Kirche war kalt und streng, aber ich fürchtete das Nichts eines seelenlosen Todes ebensosehr wie die Flammen der Hölle. Und vielleicht hatte sie recht. Vielleicht war es bereits zu spät. »Nein«, wiederholte ich, in dem Bemühen, eher mich zu überzeugen als Ather. »Das werde ich nicht tun.«
      »Tapfere Worte«, sagte Ather. »Was, wenn ich dir sage, daß es keine Rolle spielt?« Sie flüsterte jetzt, als könnte das ihre Worte in meinen Geist meißeln. Es funktionierte. »Du hast den Pakt mit dem Teufel geschlossen, als dein Blut auf mein Geschenk fiel.«
      In meiner Erinnerung erlebte ich die Szene noch einmal. Eine schwarze Rose, deren Dornen scharf wie die Fänge einer Viper waren. Ein Blutstropfen, der auf die schwarze Blume fällt. Schwarze Augen, Athers so ähnlich, nur unendlich viel kälter, beobachten wie eine Schlange das tropfende Blut. Wie eine Viper, wie die Dornen der Rose, als hätte er mich gebissen...
      Mein Geist füllte sich mit dunklen Bildern und noch dunkleren Gedanken an Schlangen und jagende Tiere und rotes Blut, das auf schwarze Blütenblätter fällt. Mein Herz war erfüllt von Schmerz und Zorn und Haß und dem schwarzen Blut, das mich verdammt hatte.
     
 
     

9
 
     
    Heute
     
     
 
      Ich reiße mich von meinen Erinnerungen los. Ich verfluche die Närrin, die ich damals gewesen war, weil ich dachte, ich könnte meine verdammte Seele mit dummen Protesten retten.
      Aubreys Diener ist weggerannt, und ich spüre, daß er meine Stadt verläßt. Er fürchtet aus gutem Grund um sein Leben. Wäre er geblieben, hätte ich ihn getötet. Er weiß das, und ich kann seine Angst immer noch riechen.
      Ich bin zwar gegen meinen Willen verwandelt worden, aber ich bekämpfe das, was ich bin, inzwischen nicht mehr. Es gibt keine größere Freiheit, als die Nachtluft im Gesicht zu spüren, keine größere Freude als die Jagd. Der Angstgeruch der Beute, das Geräusch ihres Herzens, das schnell und hart schlägt, die Gerüche der Nacht.
      Ich stehe hier in dieser kleinen Stadt, so nah bei den Toten und fast ebenso nah bei den Gläubigen der Kirche auf der anderen Straßenseite, und spüre die Furcht des Menschen, der aus meinem Haus geflüchtet ist. Deswegen bin ich, was ich bin eine Jägerin. Ich habe vor langer Zeit gelernt, daß ich diese Tatsache nicht verleugnen kann.
      Mein Instinkt sagt mir, daß ich diese rennende, angsterfüllte Kreatur jagen soll. Ich bin schließlich ein Vampir. Aber ich bin kein Tier, und einst war ich sogar ein Mensch. Das macht meine Art so gefährlich: die Instinkte eines Raubtieres verbunden mit den Gedanken eines Menschen. Die grausame Weise, in der die Menschen mit der Welt spielen,
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