Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

Titel: In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche
Autoren: Ales Pickar
Vom Netzwerk:
seitdem — ob bewusst oder unbewusst.
    »Zeig mir, was du mir zeigen wolltest und dann hauen wir ab«, sagte ich plötzlich und steckte trotzig die freie Hand in die Tasche, während ich ihn mit meiner Lampe anleuchtete.
    »Das Geheimnis liegt nicht weit entfernt. Du kannst es an der Spinne erkennen.«
    Manzio war verführerisch, wie der Gott Pan. Ich wusste nie so richtig, was er meint. Aber auf eine pathologisch reizvolle, verdrehte Art ergab das, was er aussprach, stets einen Sinn.
    »Spürst du nicht die Wärme hier in diesem Gang? Die Temperatur steigt, je weiter wir gehen. Es ist später Oktober. Es ist sehr kalt und du wirst kaum noch irgendwo eine Spinne im Gebüsch finden. Aber hier...« Er deutete auf das Fenster. »Der Heizraum ist ganz nahe. Hier steigt ständig Wärme auf, durch das kaputte Fenster. Die Kreuzspinne glaubt vermutlich, dass das der hässlichste August aller Zeiten ist. So fühlen sich Otto Normalverbraucher und Monika Mustermann auf dem Weg zu Arbeit.«
    Er steckte sich eine Zigarette an. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe, die er sich währenddessen unter den Arm klemmte, tanzte chaotisch auf den grauen Betonwänden.
    »Ab jetzt wird´s spannend«, brummte er und fischte nach etwas in seiner Tasche. Er zog einen Schlüssel hervor und ging zu der massiven Stahltür. Ich stellte mich hinter ihn. Ich spürte eine gewisse Wärme, wie eine künstliche Höhensonne, die sich gerade erst auflädt. Ich streckte meinen Arm aus und berührte die Tür. Sie war warm. Ich leuchtete auf die weißen Buchstaben: »Heizraum. Unbefugten Zutritt verboten.« Natürlich, was sonst? Warum wären wir sonst hier, wenn es nicht verboten wäre?
    Manzio zog den Schlüssel wieder heraus und hielt ihn kurz vor meinem Gesicht.
    »Frag lieber nicht, Digger«, flüsterte er mit einem verwegenen Blick.
    Die Tür war erstaunlich gut geölt. Sie ging geräuschlos auf und wir traten ein.
    Massive Wandschränke aus Metall erwarteten uns im Heizraum, mit grünen und weißen Lämpchen darauf. Nicht unbedingt psychedelisch, aber doch bei völliger Dunkelheit irgendwie spacig. Die Wärme hier fühlte sich gut an. Manzio raschelte mit den Schlüsseln und öffnete eine weitere Tür.
    Es war eine Art Stauraum für Reinigungsmaterial und allerlei Zeug, das meine eigene Wohnzelle nie zu sehen bekam. Nachdem Manzio die Tür hinter sich verschlossen hatte, knipste er den Lichtschalter an der Wand an. Hässliches kaltes Licht überflutete uns. Wir waren umgeben von Chemikalien in Kartons, von Putzlappen, Besen und von einem Staubsauger.
    »Fiese Sache hier, du wirst sehen...« Er zog eine leicht zerknüllte Tüte mit irgendwelchen Keksen und eine kleine, klischeehafte Flasche mit Weinbrand aus der Tasche. Diesen kleinen Flachmann, den Obdachlose mit Vorliebe an Tankstellen kauften.
    »Hier endet die Zivilisation. Dieser Raum ist der letzte Vorposten. Dahinter ist der Orkus«, erklärte Manzio.
    ›Sehr theatralisch‹, dachte ich nur, sagte aber nichts.
    Ich kaute eine Weile an dem Keks und blickte dann hoch zu ihm.
    »Was ist das? Ist nicht gerade ein Verkaufsschlager, oder?«
    »Das sind Hostien«, meinte Manzio ausdruckslos. »Mein Dad liefert die an einige Kirchen.«
    Ich verzog mein Gesicht.
    »Ist das häretisch oder so was?«
    Manzio zuckte mit den Achseln.
    »Ist doch nur Mehl, Wasser und Maizena. Ich würde sagen, solange das nicht ein Priester an sich nimmt, ist es erst mal nur eine Oblate in einer Plastiktüte.«
    Er sah noch immer den Zweifel in meinem Blick.
    »Mann, ist ja nicht so, dass ich die aus dem Tabernakel geklaut habe. Wir haben ungefähr zehn Kartons davon im Lager. Außerdem, wann warst du jemals in einer Kirche?«
    Ich nahm noch einen Keks. Ich meine, eine Hostie... Ich meine, eine Oblate...
    »Irgendwie süß«, stellte ich fest. »Ist das nicht... wohllebig, da Zucker reinzutun?«
    »Wohllebig?« Manzio blickte mich kurz entgeistert an. »Was soll das denn sein?«
    »Ich meine«, überlegte ich verkrampft, in der Hoffnung, dass bald die richtige Synapse zündete und mir den passenden Begriff aushändigte. »Ich meine... Na einfach nicht... äh, frugal genug...«
    »Frugal?« Manzio machte nur eine abwehrende Handbewegung, während er einige der Kartons auf ihre Stabilität prüfte. »Du bist total dummgekifft. Abgefuckter Junkie.«
    Ich kaute an der trockenen Oblate und spülte sie dann mit einem Schluck Weinbrand runter.
    »Glaubst die Oblaten der Protestanten sind weniger süß?« murmelte ich mit einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher