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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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vor Per. Birgitte und er waren nach Bergen gefahren. Die Seehunde im Aquarium, wie er sie durch das Fenster im Becken gesehen hatte, unten, in einer Art Keller – die Seehunde drehten sich im Wasser, immer wieder, bis sie dann plötzlich zum Licht emporjagten, das wie ein Fächer durch das Wasser strömte; die Seehunde wollten nach oben, zum Licht, zur Luft.
    Roy Hansen stand auf seinem Dachboden. Er war seit drei Jahren nicht mehr hier oben gewesen, und er dachte an Seehunde. Höchste Zeit, um mal wieder durchzuatmen.
    Einige Tage hatte er mit dem Gedanken an einen Umzug gespielt. Nach der Beerdigung, als er ein wenig Distanz zu allem gewonnen hatte, während der Weg nach vorn ihm weiterhin versperrt zu sein schien, wollte er nicht mehr in diesem Haus wohnen, nicht zwischen Birgittes Habseligkeiten und den Erinnerungen; ein Kühlschrankmagnet aus Gips, den sie einmal zu Weihnachten gebastelt hatte, das Sofa, das er nicht hatte haben wollen, auf das sie aber bestanden hatte. Es passe so gut zu den Wänden, hatte sie gemeint, und er hatte nachgegeben. Ihre Kleider hatte Per eines Abends, als Roy seine Mutter besucht hatte, in aller Stille weggeräumt. Als er nach Hause gekommen war, hatte Per nichts gesagt, sondern nur kurz gelächelt, und Roy hatte versucht, sich zu bedanken, aber es war ihm nicht gelungen. Die Kleider waren verschwunden und damit auch etwas von ihrem Duft. Das Bettzeug, in dem sie in der letzten Nacht ihres Lebens geschlafen hatte, hatte er weggeworfen.
    Doch während der letzten Tage hatten die Gegenstände eine neue Bedeutung gewonnen. Sie waren keine brennende, tödliche Erinnerung mehr an etwas, das für ihn für immer verloren war. Birgitte steckte in den Wänden, in den Gegenständen, in den Bildern, die sie ausgesucht, und in den Büchern, die sie gelesen hatte. Und das war gut so. Er wollte es so. Aber er wollte wissen, was es hier oben gab.
    Deshalb stand er auf dem Dachboden. Birgitte war auch nicht oft hier oben gewesen. Aber doch viel häufiger als er. Wenn sie dann nach unten gekommen war, hatte sie etwas Melancholisches, Abwesendes gehabt. Nie lange, vielleicht einen Tag lang. Eine Distanz im Blick, etwas, das er nicht zu durchbrechen versucht hatte. Dazu hatte er sie zu lange geliebt. Irgend etwas mußte es hier oben geben, und bisher hatte er es nicht geschafft, danach zu suchen.
    Es war schwer, die vielen Kartons zu verschieben. Da stand ein alter Webstuhl mit zerbrochenen Schiffchen, und Roy lachte leise vor sich hin. Birgitte war damals hoch schwanger mit Per gewesen, sie hatte handgewebte Kittel getragen und wollte unbedingt weben lernen, über einen Einführungskurs jedoch war sie nie hinausgekommen. Er berührte die Wolle, die so verstaubt war, daß er in dem trüben Licht die Farbe einfach nicht erkennen konnte. Das Muster in dem eben nur begonnenen Wandbehang war fast unsichtbar. Er ließ seinen Zeigefinger über den Staub wandern und zeichnete ein Herz mit einem B darin hinein. Den Webstuhl wollte er stehenlassen. Er würde sich niemals von ihm trennen.
    Am Rand des Lichtkegels stand eine riesige Seekiste. Er stöhnte auf, als er sie ins Licht zog, um sie sich besser ansehen zu können. Der Schlüssel fehlte. Er richtete sich auf und schaute sich um. Das Versteck lag auf der Hand, er hatte es sofort entdeckt. Vielleicht wollte Birgitte das so, dachte er und ließ die Finger über den Balken laufen, der den Dachboden in zwei Hälften teilte. Der Schlüssel, groß, schwer und schwarz, lag da, wo er liegen mußte.
    Der Deckel war schwer, knirschte aber nicht, als er ihn öffnete. Die Kiste war leer, nur eine runde, kleinere Schachtel lag darin. Eine Hutschachtel, dachte er, seine Mutter hatte früher solche Schachteln gehabt. Diese hier war altrosa und mit einer großen Schleife zugebunden. Die Schleife hat Birgitte gebunden, dachte er, und ließ die schwere Seide durch seine Finger gleiten.
    Er zögerte, ehe er die Schachtel öffnete. In seinem Mund breitete sich ein seltsamer Geschmack nach Eisen oder Blut aus. Das Hocken war unbequem. Vorsichtig hob er die Schachtel hoch, klappte die Seekiste wieder zu und setzte sich auf den Deckel. Dann öffnete er die Hutschachtel.
    Ganz oben lag ein Paar Babysöckchen, die früher sicher einmal kreideweiß gewesen waren. Sie waren winzigklein, für ein neugeborenes Kind, mit winzigen Mäusezähnchen am Rand. Er legte die Socken auf sein Knie und fuhr mit dem Daumen darüber. Dann hob er das Foto aus der Schachtel. Es war das erste Bild
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