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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
Autoren: Byung-Chul Han
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in die Welt gebracht. In einem Brief schreibt er an Milena: »Wie kam man nur auf den Gedanken, dass Menschen durch Briefe miteinander verkehren können! Man kann an einen fernen Menschen denken und man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft.« 53 Der Brief verkehre mit Gespenstern. Geschriebene Küsse kämen nicht an ihrem Bestimmungsort an. Sie würden unterwegs von den Gespenstern aufgefangen und ausgetrunken. Die postalische Kommunikation liefere nur Nahrung für Gespenster. Durch diese reichliche Nahrung vermehrten sie sich so unerhört. Die Menschheit kämpfe dagegen. So habe sie Eisenbahn und Auto erfunden, um »möglichst das Gespenstische zwischen den Menschen auszuschalten« und den »natürlichen Verkehr«, den »Frieden der Seelen« zu erreichen. Die Gegenseite sei aber viel stärker. So habe sie nach der Post Telefon und Telegrafie erfunden. Dann zieht Kafka das Fazit: »Die Gespenster werden nicht verhungern, aber wir werden zugrunde gehen.« 54
     
    Kafkas Gespenster haben inzwischen auch Internet, Smartphone, E-Mail, Twitter, Facebook und Google Glass erfunden. Die neue Generation von Gespenstern, nämlich die digitalen werden, so würde Kafka sagen, gefräßiger, schamloser und lärmender. Gehen die digitalen Medien nicht tatsächlich »über Menschenkraft«? Würden sie nicht zu einer rasanten, nicht mehr kontrollierbaren Vermehrung der Gespenster führen? Verlernen wir es durch sie nicht tatsächlich, an einen fernen Menschen zu denken und einen nahen Menschen zu fassen?
     
    Das Internet der Dinge bringt neue Gespenster hervor. Die Dinge, die ehemals stumm waren, beginnen nun zu sprechen. Die automatische Kommunikation zwischen den Dingen, die ohne jedes menschliche Zutun stattfindet, wird neue Nahrungen für Gespenster liefern. Sie macht die Welt gespenstischer. Sie wird wie von Geisterhand gesteuert. Die digitalen Gespenster würden womöglich dafür sorgen, dass irgendwann alles außer Kontrolle gerät. Die Erzählung The Machine stops von E. M. Forster nimmt diese Katastrophe vorweg. Schwärme von Gespenstern richten die Welt zugrunde.
     
    Die Geschichte der Kommunikation lässt sich als Geschichte einer zunehmenden Illuminierung des Steins beschreiben. Das optische Medium, das die Information in Lichtgeschwindigkeit versendet, beendet endgültig die Steinzeit der Kommunikation. Selbst Silicium verweist noch auf das lateinische silex, das Kieselstein bedeutet. Bei Martin Heidegger taucht der Stein häufig auf, und zwar als bevorzugtes Beispiel für das »bloße Ding«. Es ist etwas, was sich der Sichtbarkeit entzieht. In einer frühen Vorlesung bemerkt Heidegger: »[...] ein bloßes Ding, ein Stein, hat kein Licht in sich«. 55 Zehn Jahre später schreibt er in dem Kunstwerk-Aufsatz: »Der Stein lastet und bekundet seine Schwere. Aber während diese uns entgegenlastet, versagt sie sich zugleich jedem Eindringen in sie.« 56 Der Stein als Ding ist eine Gegenfigur zur Transparenz. Er gehört zur Erde, zur terranen Ordnung und steht für das Verborgene und das Verschlossene. Heute verlieren die Dinge immer mehr an Bedeutung. Sie unterwerfen sich den Informationen. Diese liefern aber neue Nahrung für Gespenster: »Nicht das Ding, die Information ist das ökonomisch, sozial, politisch Konkrete. Unsere Umwelt wird zusehends weicher, nebelhafter, spektraler.« 57
    Die digitale Kommunikation nimmt nicht nur spektrale, sondern auch virale Form an. Sie ist insofern ansteckend, als sie unmittelbar auf emotiver oder affektiver Ebene erfolgt. Die Ansteckung ist eine posthermeneutische Kommunikation, die eigentlich nichts zu lesen oder zu denken gibt. Sie setzt keine Lektüre voraus, die sich nur begrenzt beschleunigen lässt. Eine Information oder ein Content, auch mit sehr geringer Signifikanz, breitet sich wie eine Epidemie oder Pandemie rasend im Netz aus. Keine Schwere des Sinns belastet sie. Kein anderes Medium ist zu dieser viralen Ansteckung fähig. Das Schriftmedium ist dafür zu träge.
     
    Wie Stein und Mauer gehört das Geheimnis in die terrane Ordnung. Es verträgt sich nicht mit der beschleunigten Produktion und Verbreitung von Information. Es ist die Gegenfigur der Kommunikation. Die Topologie des Digitalen besteht aus flachen, glatten und offenen Räumen. Das Geheimnis dagegen bevorzugt Räume, die mit ihren Kerben, Verliesen, Verstecken, Vertiefungen und Schwellen die Verbreitung von Informationen erschweren.
     
    Das Geheimnis liebt die Stille. So
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