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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese
Autoren: Fred Vargas
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beschrieben? Er hatte von einem scharfgeschnittenen Profil gesprochen, von einem etwas verächtlichen Mund, von knapp schulterlangen Haaren.
    Aber er hatte nicht gesagt, wie sehr einen das Gesamtbild in Erstaunen versetzte, sobald man sie betrachtete. Gerade im Augenblick hörte sie Tiberius zu, wie er erzählte, und nagte dabei an den Lippen. Nero war gespannt auf die Melodie ihrer Stimme.
    »Nein, zu essen habe ich nichts bei mir, Großer!« erwiderte Laura; sie lief raschen Schrittes und hielt die Arme vor dem Bauch verschränkt.
    »Und was wird aus mir?«
    »Kauf dir irgendwas auf dem Weg. Schließlich mußt du etwas essen. Arbeitet Claudius inzwischen wieder? Konzentriert er sich?«
    »Natürlich, Laura. Claudius arbeitet viel.«
    »Du lügst, Tiberius. Tagsüber schläft er, und nachts zieht er umher. Mein kleiner Claudius ist so flatterhaft. Sag, Tiberius, warum ist er nicht mitgekommen?«
    Sie wischte ihre Worte mit einer Handbewegung weg.
    »Wegen Livia«, erwiderte Tiberius. »Weißt du noch nichts von der letzten großen Entdeckung deines Claudius’?«
    »Das letzte Mal hat er mir von einer gewissen Piera erzählt.«
    »Nicht doch. Piera, das ist mindestens zwanzig Tage her, das ist schon Geschichte, das zerfällt schon zu Staub. Nein, die entzückende Livia sagt dir nichts?«
    »Aber nein. Jedenfalls glaube ich nicht. Ich sehe so viele Leute, weißt du.«
    »Sehr gut, ich werde sie dir diese Woche zeigen. Vorausgesetzt natürlich, daß Claudius’ Leidenschaft bis dahin anhält.«
    »Ich bleibe diesmal nur kurz, mein Großer. Morgen abend fahre ich nach Paris zurück.«
    Tiberius blieb abrupt stehen.
    »So schnell fährst du wieder?«
    »Ja«, sagte Laura lächelnd. »In anderthalb Monaten komme ich wieder.«
    »Ist dir klar, Laura, was du da sagst? Weißt du eigentlich, daß Claudius und ich, seitdem wir hier im römischen Exil leben, täglich, hörst du, täglich ein bißchen deinetwegen heulen? Ein kleines bißchen vor dem Mittagessen und dann noch ein kleines bißchen vor dem Abendessen. Und was machst du? Du verläßt uns für anderthalb Monate! Glaubst du, daß diese Pieras und Livias uns zerstreuen könnten?«
    »Ja, das glaube ich«, erwiderte Laura weiter lächelnd.
    Nero würdigte dieses Lächeln.
    »Ich dagegen bin ein Engel«, erklärte Tiberius.
    »Genau, mein Großer. Geh jetzt, ich nehme mir ein Taxi.«
    »Können wir nicht mitkommen? Im Hotel ein Glas zusammen trinken?«
    »Lieber nicht. Ich habe haufenweise Verabredungen.«
    »Gut. Wenn du Henri wiedersiehst, dann grüß ihn von mir und von Claudius. Sag ihm, daß ich das Foto für sein Buch habe, um das er mich gebeten hat. Also … dann gebe ich dir deine Tasche zurück? Kaum bist du angekommen,verläßt du uns wieder? Und nicht früher als in anderthalb Monaten?«
    Laura zuckte mit den Schultern.
    »Ist schon gut«, fuhr er fort. »Ich werde mich in meine Studien vertiefen. Und du, Nero?«
    »Ich werde mich im Blut der Familie ertränken«, erklärte Nero lächelnd.
    »Er meint die kaiserliche Familie«, flüsterte Tiberius. »Das julisch-claudische Kaiserhaus. Das ist seine Macke. Eine ziemlich ernste. Und Nero, der Vatermörder, war der Schlimmste von allen. Er hat Rom in Brand gesteckt.«
    »Was nicht erwiesen ist«, wandte Nero ein.
    »Ich weiß«, sagte Laura. »Und er hat sich töten lassen und dabei gesagt: ›Welch ein Künstler stirbt mit mir!‹, oder so ähnlich.«
    Tiberius hielt seine Wange hin, und Laura küßte ihn. Nero gab ihr die Hand.
    Die beiden jungen Männer sahen ihr nach, wie sie sich, in ihren schwarzen Mantel gehüllt, die Schultern ein wenig gebeugt, als ob sie fröstele, mit großen Schritten entfernte. Sie drehte sich um und winkte ihnen noch einmal zu. Nero kniff die Augen zusammen. Nero war kurzsichtig: Er zog mit den Fingern an den Lidrändern seiner grünen Augen, um »die Schärfe einzustellen«, denn er weigerte sich strikt, eine Brille zu tragen. Ein römischer Kaiser kann sich nicht erlauben, eine Brille zu tragen, erklärte er. Vor allem nicht, wenn er grüne Augen hat, die sehr heikel sind. Das wäre unschicklich und grotesk. Nero trug eine antike Frisur, kurz, mit ein paar blonden, regelmäßigen Locken auf der Stirn, die er jeden Morgen mit Pomade andrückte.
    Tiberius schüttelte ihn leicht.
    »Du kannst aufhören, an deinen Augen zu ziehen«, sagte er. »Sie ist schon um die Ecke gebogen.«
    »Du kannst keine Frauen beschreiben«, sagte Nero seufzend. »Und Männer auch nicht.«
    »Halt die
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