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Im Heimlichen Grund

Im Heimlichen Grund

Titel: Im Heimlichen Grund
Autoren: Alois Theodor Sonnleitner
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lauschte. Deutlich hatte sie Schritte gehört, schwere, tappende Schritte. Das war nicht Peter! Angestrengt horchte sie in die mondhelle Nacht. Nichts regte sich. Von der Luke her fiel ein bläulichweißes Lichtband schräg in ihre Kammer. Eva verließ ihr Lager, hüllte sich fröstelnd in ein Fell und sah hinaus. Über den Klammwänden stand der Mond, groß, rund, eine weiße Scheibe.
    Und wieder kam ein Geräusch, ein Pusten und Schnuppern, dann ein Scharren im Schnee. Schauer überliefen sie. Die Furcht vor Waldgeistern ließ sie erzittern, sie hätte sich am liebsten verkrochen, um nichts mehr zu hören. Aber die Angst vor der unbestimmten Gefahr trieb sie hinunter zu Peter. Der schlief im vollen Mondschein mit offenem Munde und schnarchte. Sie faßte ihn an der Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Peter, draußen ist wer!«
    Verschlafen streckte er sich und rieb die Augen. Plötzlich sprang er auf. Jetzt hatte auch er etwas vernommen. Mit einem Schlage war er völlig wach. Deutlich hörte er, daß unten im Schnee, über der Fleischgrube gescharrt wurde. Jetzt schlugen zwei Steine, die auf den Deckreisern lagen, hart gegeneinander...
    Peter schlich geräuschlos zur Schutzmauer, wo die frische Haut der Rehgeiß noch am Türgitter hing. Behutsam stellte er es beiseite, hielt sich mit den Fingerspitzen an den obersten Steinen der Mauer fest und neigte sich weit vor. Einen mächtigen Bären sah er, der eben dabei war, die Decksteine von der Fleischgrube zu räumen. Peter überlegte einen Augenblick, machte zwei Schritte nach links, so daß er genau oberhalb der Fleischgrube stand. Alle seineKräfte aufbietend, stemmte er sich gegen die Schutzmauer, und im nächsten Augenblick gaben die nur lose aufeinandergehäuften Steinblöcke nach. Polternd stürzten sie in die Tiefe. Ihrem wuchtigen Fall folgte ein grauenhaftes, langgezogenes Heulen, das mit tiefen Tönen einsetzte und in ein Stöhnen überging. Eva hatte inzwischen ein Bündel harziger Kiefernzweige entzündet und neigte sich, die lodernde Fackel in der Hand, weit über die Mauer hinaus. Peter raffte seinen Speer auf, den er neben seinem Lager liegen hatte, und sauste die Felsrinne hinunter.
    Mühsam versuchte sich das verwundete Raubtier zu erheben. Sein Rumpf war von schweren Steinen bedeckt. Es öffnete den Rachen und wandte sich brüllend gegen den Menschen. Da stieß ihm der vor Entsetzen tollkühn Gewordene die schlanke Spitze der Waffe durch das weit aufgerissene Maul tief in den Schlund. Das Tier schlug mit den mächtigen Pranken nach dem Angreifer.
    Peter riß den Speer zurück und beendete das Leiden des Tieres, indem er ihm die Waffe ins Herz bohrte. Der Bär erhob sich nicht mehr. Nach einigen krampfhaften Tatzenschlägen ins Leere blieb er reglos liegen. Dick quoll sein Herzblut aus der breiten Wunde. Jetzt stürzte sich der Sieger auf den gefällten Feind, preßte seinen Mund auf die Wundränder und schlürfte in gierigen Zügen das warme Blut des Starken, als wolle er dessen Kraft in sich aufnehmen.
    Eva empfand Bewunderung und ein Grauen vor Peter. Erschlagen hatte er den gefürchteten Bären, und jetzt schlürfte er seine Kraft in sich ein, trank des Mächtigen Blut!
    Still zog sie sich zurück. Von dieser Stunde an wußte sie, daß Peter ihr an roher Kraft überlegen war. Er aber, den die schneidende Kälte bald ernüchterte, verbrachte den Rest der Nacht und den Morgen damit, die Mauer notdürftigauszubessern und in der Wärme eines gewaltigen Feuers den Bären abzuhäuten.
    Dann kroch er in seine Schlafgrube und schlief unter der schweren, noch feuchten Bärenhaut bis zum kommenden Mittag, wie berauscht vom starken Geruch, der dem Fell des Besiegten entströmte.
     
    *
     
    Wieder setzte der Winter mit aller Strenge ein. Stürme brausten einher und deckten den Grund mannshoch mit schimmernden Schneedünen, die, angeweht und fortgetragen, die Oberfläche stetig veränderten, bis Tauwetter und Frost sie unter einer Eiskruste erstarren ließen. Das Leben der Höhlensiedler war meist von harter Arbeit und tiefem Schlaf ausgefüllt.
    Wenn Peter an stürmischen Tagen den schwerbeladenen Holzschlitten heimgebracht hatte, verkroch er sich steif vor Kälte und Erschöpfung unter sein Bärenfell und verschlief einen halben Tag, während Eva sich mit dem Zerkleinern und Schichten der ungefügen Äste plagte.
    An windstillen, frostfreien Tagen pflegten die beiden sich in der behaglich durchwärmten Höhle mit Arbeiten zu beschäftigen, die geschmeidige
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