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Im Delikatessenladen

Im Delikatessenladen

Titel: Im Delikatessenladen
Autoren: Ernst Jandl
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Sprachüberraschungen
    Sind das hier wirklich Gedichte? So ganz sicher seid ihr euch da wahrscheinlich nicht, denn die meisten Leute meinen, daß Verse etwas sehr Ernsthaftes sind, etwas Höheres oder gar Feierliches, um das man sich schon mühen muß, wenn man es verstehen oder selber schreiben will.
    Ernst Jandls Gedichte sehen da auf den ersten Blick völlig anders aus, so leicht und verspielt, als wenn sich jemand etwas ganz Verrücktes ausgedacht hat. Und dabei haben sie viel mit euren Spinnereien gemein: Von den blauen Bergen
    kommen wir
    Unser Lehrer ist genau so
    doof wie wir
    Mit der Brille auf der Neese
    sieht er aus wie'n Harzer
    Käse
    Von den blauen Bergen
    kommen wir
    Oder:
    Mensch hast du Kant gekannt
    Der konnte Handstand mit
    einer Hand
    Der Dichter Ernst Jandl hat, wie andere Schriftsteller auch, genau hingehört, wenn Kinder miteinander umgehen, und dabei entdeckt, daß Sprache und Spiel zusammengehören. Er behauptet, daß ihr Gedichte schreiben könnt, die lustig, manchmal ärgerlich für die Erwachsenen und voller toller Einfälle sind. Und er probierte es selbst aus, so zum Beispiel in der Geschichte von Otto und seinem Mops.
    Bestimmt habt ihr gleich den Dreh erkannt, wie »Ottos mops« ein Sprachspiel wird: Ernst Jandl suchte beim Bau seines Gedichts nach passenden Wörtern mit möglichst vielen O. So etwas kann jeder machen. Ein zehn Jahre alter Junge schickte Ernst Jandl das Gedicht über »Ruths Kuh«: Ruths Kuh muht
    Ruth: Ruh, Kuh!
    Ruths Kuh ruht nun
    Ruth tut Ruh gut
    Ruths Wunsch: Nur Ruh
    Nun muht Ruths Kuh
    Ruth ruft nun: Ruh Kuh!
    Ruth muß zur Fußkur
    Ruth ruft nun zur Kuh:
    Nur zu, nun muh
    In fast allen Gedichten dieses Buches gibt es Sprachtricks herauszufinden, die Überraschungen bereithalten. So wandert in »peter frißt seinen weg ins Schlaraffenland« – ihr kennt das Märchen – das p durch das Wort »petermilchbreiberg« hindurch; als es am Ende dieses langen Wortes angekommen ist, folgen auch die anderen zu Peter gehörenden Buchstaben nach und ordnen sich ein, so daß es zum Schluß heißt: »milchbreibergpeter«.
    Es ist nicht immer so, daß Ernst Jandls Gedichte nur freudige Sprachüberraschungen an euch weitergeben, sie können auch erschrecken. Im Gedicht
    »vater komm erzähl vom krieg« geschieht eigentlich Unmögliches: Ein Gefallener, ein im Krieg von anderen Soldaten Getöteter, soll seinem Sohn davon berichten. Aber, da gibt es nichts Spannendes in gemütlicher Runde zu erzählen; und wer das dennoch tut, der hat wohl überlebt, aber nichts vom Schrecken eines Krieges verstanden.
    Ernst Jandl ist ein berühmter Mann. Er hat viele Bücher drucken lassen mit Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen für den Rundfunk und Vorträgen, in denen er über die Gründe für sein Schreiben berichtet. Er wurde am 1. August 1925 in Wien, der Hauptstadt Österreichs, geboren. Sein Vater war Angestellter in einer Bank, malte aber lieber, so wie man vielleicht lange Briefe schreibt. Ernst Jandl hat seine Eltern sehr gern gehabt; und er ist sicher, daß er ihnen für seine Arbeit als Dichter manches verdankt.
    Nachdem die deutschen Nazis seine Heimat Österreich 1938 besetzt hatten und 1939 den Weltkrieg begannen, mußte er Soldat werden und erlebte, daß der Krieg nie ein Abenteuer ist. Darum schrieb er »vater komm erzähl vom krieg«,
    »1944 1945« und »im schlaf«, in denen er davor warnt, das Töten anderer Menschen als etwas Normales hinzunehmen.
    Nach 1945 studierte Ernst Jandl und arbeitete als Lehrer für Deutsch und Eng-lisch an einer Wiener Schule. Gedichte schrieb er viele Jahre lang nebenbei, nach der Schule oder auch heimlich im Unterricht. Erst später gab er seinen ersten Beruf auf, um für die Arbeit als Dichter mehr Zeit und Ruhe zu finden. Bestimmt war Ernst Jandl ein guter Lehrer, in dessen Schulstunden auch gelacht werden durfte. Seine Sprachüberraschungen hat er dort ausprobiert und dabei selber Neues hinzugelernt.
    Ernst Jandl ist nicht der einzige, der mit Kindern und für Kinder Sprachspiele entdeckt hat. Bei uns in der DDR gibt es zum Beispiel die Bücher »Die dampfen-den Hälse der Pferde im Turm von Babel« von Franz Fühmann und »Die Rassel-bande im Schlamassellande« von Kito Lorenc, die auch zeigen, daß unsere Sprache viel zu interessant ist, um sie nur den Erwachsenen zu überlassen.
    Ernst Jandl hat einmal gesagt: »Mein Schreibtisch ist gedeckt für alle« und damit die Leser gebeten, an seiner Arbeit teilzunehmen wie an einem Fest,
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