Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ihr Auftritt, Mr. Pringle!

Ihr Auftritt, Mr. Pringle!

Titel: Ihr Auftritt, Mr. Pringle!
Autoren: Nancy Livingston
Vom Netzwerk:
anderes Wort
falle ihm dafür beim besten Willen nicht ein.
    Als die Büros endlich
fertiggestellt waren, machte sich die quälende Einsicht breit, daß auch die
Programmacher untergebracht werden mußten. Tapfer legten die Architekten dar,
dies wäre eine Kleinigkeit, auch wenn überraschend wenig Geld übriggeblieben
sei. Voller Selbstvertrauen stellten sie dunkle Glasplatten auf und gaben
erläuternde Notizen heraus. Diese Dämmerungszonen, so erklärten sie, seien
Arbeitsplätze, die eine Art pränatale Umgebung schufen, in der Programme
schwanger werden könnten. Danach werde das Team der Techniker in den
Studioschoß ziehen, um zu gebären. Traurigerweise konnten die Angestellten mit
dieser Vision wenig anfangen. Sie stolperten in der Düsternis umher und wurden
immer mürrischer. Ein in einem überfüllten Lagerhaus zur Vollkommenheit
geschliffenes Team zerfiel. Das ärgerte die Mitglieder des Verwaltungsrats
außerordentlich. In ihrer Penthouse-Etage verfaßten sie Denkschriften, in denen
sie erläuterten, wieviel dies ganze Konzept gekostet habe.
    In der Nachrichtenredaktion
hatte der Erfahrungsmangel der Architekten am meisten Unheil angerichtet. Der
Raum war — wegen eines Tippfehlers, bei dem es um Meter oder Fuß ging—um ein
Drittel kleiner geworden als vorgesehen, was erst bemerkt wurde, als es bereits
zu spät war. Dadurch arbeiteten Männlein und Weiblein miteinander in einer
Nähe, die an Unanständigkeit grenzte; ihre Jacken und andere Habe türmten sich
auf Ablageschränken, weil Kleiderhaken in der Inventarliste fehlten. Über ihren
Köpfen hingen Elektrokabel wie Girlanden an Rohren, die — aus unbekannten
Gründen — ein Bestandteil der Decke waren. Der Geräuschpegel in diesem Raum,
von Schreibmaschinen, Telefonen, lauten Unterhaltungen und fließendem Wasser,
animierte häufig genug einen Gepeinigten zu einem verzweifelten Schrei. In
einer Fabrik wären solche Zustände als inhuman erklärt worden, aber wer hat je
gehört, daß der Raum einer Nachrichtenredaktion geschlossen worden wäre?
    Heute abend war er gedrängt
voll, denn—noch so ein Witz—er war, über einen Laufsteg, der einzige Weg zum
Regieraum. Als sie diese Brücke hoch über dem Fußboden des Studios das erste
Mal gesehen hatten, meinten Witzbolde, es müsse der Hintergedanke der
Architekten gewesen sein, die Regie ganz von der Nachrichtenredaktion zu
isolieren. Sofort hing an allen Anschlagtafeln ein gedrucktes Dementi. Dennoch
war dieser Laufsteg, abgesehen von der Feuerleiter, die einzige Möglichkeit, in
die Regie zu gelangen. Außerdem machte der Laufsteg einen überaus zerbrechlichen
Eindruck, was zur Folge hatte, daß der jeweilige Programmregisseur «als erster
hinübergehen» mußte.
    An diesem Abend rührte
Christopher Gordon sich nicht. Man hatte ihm ein Exemplar von Jacks neuem
Sendeplan gegeben, aber er zögerte immer noch. Um ihn herum wuchs die Unruhe
ins Unermeßliche, da mit dem Vergehen der Zeit auch jede Möglichkeit zur Probe
verschwand. Die übliche Vorliebe für Spontaneität wurde mehr und mehr durch
echte Angst ersetzt. Dann sprach Christopher und schickte damit eine Schreckenswelle
durch den Raum. Er wedelte mit dem blauen Papier. «Verteilen Sie davon keine
mehr. Ich wünsche die Änderungen, um die ich ursprünglich gebeten habe. Das
Eröffnungspaket bleibt, Nummer z geht ein in 6 a, 8 und 9 bleiben in
Bereitschaft.»
    «Jesus!» Artemis war bleich.
«Ich kann nicht. Sehen Sie doch auf die Uhr!»
    «Tun Sie’s trotzdem.»
    «Nein!»
    Endlich ertönte die Stimme der
Vernunft. Es war die Stimme, die schon früher hätte sprechen sollen, um den
unsinnigen Streit zu vermeiden — die Stimme von Dorothy E. Hammond, leitende
Programmredakteurin und letzte Autorität für den Inhalt des Programms. Warum in
aller Welt hatte sie bis jetzt nicht eingegriffen? Die Angestellten sahen
einander an. Machte ihre Krankheit sie so langsam, ausgerechnet heute? Die Schmerzfalten
auf ihrer Stirn traten an diesem Abend deutlich hervor, sie bewegte sich
langsam. Egal, jetzt hatte sie alles unter Kontrolle. Sie konnten wieder atmen.
Es war vorbei.
    Aber Dorothy zögerte.
Ausgezehrte Muskeln schickten gespenstische Signale an ihr Gehirn, eindringlich
wie Nadeln, die Aufmerksamkeit erzwingen. Sie wollte aufgeben, sie wollte
getröstet werden, aber sie zwang ihren Verstand zurück zu dem Streit, der vor
ihren Augen noch immer im Gang war. Ihrem Körper jetzt den Willen zu lassen wäre
eine unverzeihliche Schwäche. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher