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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Autoren: Stella Bettermann
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mein Bruder brachte sogar seine ganze Clique mit und feierte fast jedes Wochenende Partys in unserer Wohnung, die er komplett in Beschlag nahm: Die Runde erschien immer mit großen Tüten voller Lebensmittel und breitete sich zuerst in der Küche aus. Nach dem Fest verwandelte sich dann dasWohnzimmer in ein Schlaflager, in dem ein Schlafsack neben dem anderen ausgerollt wurde. Mama ermutigte uns, Leute mitzubringen. Damit sie Kontrolle darüber hatte, mit wem wir verkehrten, sagte sie. Aber wahrscheinlich auch, weil sie den Trubel im Haus mochte.
    Als wir noch zur Schule gingen, wurde unsere Wohnung sogar zur Anlaufstelle für all diejenigen unserer Freunde, die Ärger zu Hause hatten. Sie zogen dann einfach zu uns. »Bleibst du hier, bis alles wieder okäi ist. Ich ssspräche mit deine Mama«, sagte meine Mutter dann, und das tat sie auch und kümmerte sich darum, dass all die Gäste morgens rechtzeitig zur Schule gingen, dass sie ihre Vokabeln paukten und: dass sie genug aßen.
    »Nimmst du noch von dem Chühnchen, nimmst du, nimmst du!«, sagte sie etwa, und wenn wir versuchten, sie zu bremsen und sie baten, unsere Gäste nicht zu mästen, lachte sie und sagte: »Ich waiß schon, immer sage ich: iss, iss. Aber das ist so in Griechenland!« Und einmal erzählte sie in so einer Runde eine Geschichte: »In Griechenland muss man immer sagen nein, wenn man zu Besuch geht. Das gehört zu guter Erziehung. Meine Mama chat immer zu uns Kiendern gesagt: Wenn wir einen Besuch machen, und ihr bekommt Kuchen angeboten, und ihr sagt ja, dann gibt es zu Chause Uhrfeigen! Man muss immer sagen nein, vielen Dank, das ist chöflich. In Griechenland muss man chundertmal nein sagen, dann kann man erst ja sagen und etwas nehmen. Dann als ich kam nach Deutschland, ich habe immer nein danke gesagt, ganz chöflich. Und deswegen ich chabe nichts bekommen. Natürrrlich! Denn wenn man in Deutschland einmal nein sagt, denken die anderen: Sie chat vielleicht keinen Chunger!« Da lachte Mama ihr tiefes Lachen und tischte unseren Freunden noch einmal auf, obwohl sie ja eigentlich wusste, dass sie keinen Hunger mehr hatten. Auf ihre Weise übte sie eine eingedeutschte Formgriechischer Gastfreundschaft aus, und einige der Freunde meines Bruders wohnten wochen- und monatelang bei uns. Wenn ich heute seine alten Schulfreunde treffe, dann fragen sie als Allererstes, wie es meiner Mama geht, und schwärmen von den lustigen alten Zeiten in unserer Wohnung, als jeder bleiben konnte, so lange er wollte – und erkundigen sich dann erst nach dem Rest der Familie.

    Als ich endlich meine Koffer packte, machten meine Freundinnen sich schon lustig über mich – sie hatten gar nicht mehr daran geglaubt, dass ich einmal ausziehen würde. Die griechische Verwandtschaft sagte – nichts. Wenn das Gespräch auf meine neue Wohnung kam, entstand ein unbehagliches Schweigen. Ebenso, wenn jemand bei meiner Mutter anrief und sie sagte: »Heute waren die Kinder da, wir haben Pizza gegessen …«, und so weiter. Es war klar: Irgendwie konnte die Verwandtschaft die Sache nicht einordnen. Wahrscheinlich vermutete man bezüglich unseres Auszuges ein Zerwürfnis – und kam dann gar nicht klar mit Äußerungen, die zeigten, dass eigentlich alles ganz in Ordnung war.
    Tatsächlich zogen Cousin Stelios und (einige Jahre später) Cousin Alexis in viel jüngerem Alter von zu Hause aus als wir, wenn auch notgedrungen: Sie studierten nämlich beide in England. Allerdings flogen die Tanten mindestens alle drei Wochen rüber, bekochten ihre Jungs und kümmerten sich um die Wäsche. »Die freuen sich bestimmt säääähr, dass Mama kommt«, sagte meine Mutter mit spöttischem Unterton – da war sie plötzlich wieder ganz deutsch. Meinem Bruder brachte sie früh bei, sich selbst um seine Wäsche zu kümmern, und lehrte ihn sogar, selbstständig an der Nähmaschine Flicken auf seine Jeans zu nähen: »Dann brauchst du mich nicht und kannst alles allein.« Irgendwo war sie auch stolz, dass ihre Kinder keine griechische Gluckenmama benötigten, um imAlltag durchs Leben zu kommen. (Nach dem Auslandsstudium zogen meine beiden Cousins dann doch wieder in die Wohnungen ihrer Eltern ein – und wohnten dort noch sehr lange.)
    Mein Bruder hatte auch nie eine griechische Freundin. »Bis du verrückt?!«, sagte er nur, wenn ich ihn darauf ansprach. Gelegenheiten hätte es genug gegeben: Als die Kinder von all den Schulfreundinnen von Mama, den Nachbarn aus der Drapezona und den
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