Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Autoren: Sally Koslow
Vom Netzwerk:
Kittys Klunkern. Ich will nicht sagen, dass Kitty froh ist über meinen Tod, aber immerhin hat sie jetzt einen guten Grund, mir nichts von ihrem Schmuck vermachen zu müssen.
    Als Barry die Stirnseite der Synagoge erreicht und die sechs Stufen hinaufsteigt, räuspert er sich, zieht ein paar Notizen aus dem Jackett und – reißt sie mit großer Geste mitten entzwei. Ich wusste, dass er das machen würde! Das hat er letztes Jahr auf der Beerdigung meiner Tante Julie gesehen. Glaubt er etwa, das merkt meine Familie nicht? Ach richtig, die ist ihm ja sowieso egal. DasSchlimmste ist, dass ihm außer den Divines jeder der Trauergäste hier diesen herzzerreißenden Kummer abkauft. In allen Ecken höre ich es schniefen und schnauben und sehe kleine Tränenrinnsale fließen.
    »Ich habe mich in meinem letzten College-Jahr in Molly verliebt«, beginnt er.
    Ich war Studentin im zweiten Jahr und er der Typ, der sich auf das Medizinstudium vorbereitete und in seinem Stundenplan endlich mal Zeit für einen Kurs über die Kunst des 20.   Jahrhunderts gefunden hatte. Barry setzte sich im verdunkelten Hörsaal neben mich und erzählte mir, er wolle Kunstsammler werden. Ich weiß noch, wie angeberisch ich diese Bemerkung fand. Keiner meiner Freunde war auf mehr aus als eine Hunde-Lithografie von Alex Katz oder die Arbeit eines Kunststudenten, die er am Abend der Offenen Werkstatt ergattern konnte. Doch Barrys Träume hatten ganz andere Dimensionen. Als ich fünf Jahre später erfuhr, dass er sich am Mount-Sinai-Krankenhaus in Manhattan zum Facharzt für Plastische Chirurgie ausbilden ließ, überraschte mich das kein bisschen. Wenn je ein Arzt dazu geboren war, Frauen zu einer Nasenoperation zu überreden, dann Barry Marx, dem es stets gelang, sein eigenes Prachtstück als überzeugendes Argument einzusetzen.
    Mindestens vierzig seiner Patientinnen müssen heute hier sein. All diese weinenden Frauen mit den feinen, symmetrischen Nasen sind weder mit mir befreundete Mütter noch ehemalige Kolleginnen von der Zeitschrift und auch keine Freundinnen aus dem Buchclub oder vom Fahrradfahren. Gibt es unter Barrys Patientinnen etwa eine Telefonkette – so wie in Annabels Kindergarten für den Fall, dass das Wetter schlecht wird? Hat eine von ihnen heute Morgen um halb sechs den ersten Anruf gemacht? »Entschuldige, dass ich dich wecke. Aber dich interessiert doch sicher, dass Barry Marx wieder Single ist. Die Beerdigung findet heute um zehn statt. Gib’s bitte weiter.«
    »Es gibt vier Dinge, die Sie über meine Frau Molly wissen sollten«,sagt Barry. »Erstens hatte sie das melodiöseste Lachen der Welt. Viele von Ihnen kannten dieses Lachen. Wegen dieses Lachens habe ich sie geheiratet. Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich dieses Lachen nie wieder hören werde.«
    Okay, keine Einwände bislang. Um fair zu sein, ja, wir haben viel miteinander gelacht. Und es glaubt sowieso keiner, dass Barry mich wegen meines Busens geheiratet hat. Die meisten Ehefrauen eines Schönheitschirurgen hätten sich meine Nektarinengröße längst zu Melonen aufblasen lassen.
    »Zweitens war Molly der ehrlichste Mensch, den ich kannte. Man konnte nicht viel vor ihr verbergen. Und sie war selbst absolut aufrichtig, wenn es um ihre eigenen Fehler ging   …«
    Er will über meine
Fehler
sprechen?
    »…   und um meine.«
    Zählt dazu auch der Fehler, dass er mit mehr als der Hälfte meiner Freundinnen geflirtet hat?
    »Drittens kenne ich niemanden, der das Leben mehr liebte als Molly. Sie hätte eigentlich hundert Jahre alt werden müssen.«
    Kein Widerspruch von meiner Seite.
    »Und viertens   …« Barry stockt. »Viertens   …« Er neigt leicht den Kopf. Und ich kann sogar ohne Bullshit-Detektor erkennen, dass er wirklich erschüttert ist, denn jetzt fällt ihm die Jarmulke vom Kopf, die seine kahle Stelle so schön vor den Blicken der Trauergäste verborgen hat, und er versucht nicht mal, das Ding wieder aufzusetzen. Rabbi Sherman tritt auf ihn zu und legt ihm tröstend den Arm um die Schultern. Barry geht zum Sarg, drückt einen Kuss auf seine Finger – an dem einen trägt er seinen Ehering, den er normalerweise in einer Kommodenschublade aufbewahrt – und presst sie auf das Mahagoni. Dann kehrt er an seinen Platz zurück und zieht Annabel auf seinen Schoß.
    Ich werde wohl nie erfahren, was das Vierte ist.
    »Mollys engste Freundin Sabrina Lawson möchte jetzt ein paar Worte sagen«, verkündet der Rabbi. »Sabrina Lawson.«
    Ich bin wirklich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher