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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Autoren: Malala Yousafzai
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der größten im Swat-Tal, sondern auch solcher Leute wie der Taliban, die meinen, Mädchen dürften nicht zur Schule gehen.
    In der Schule, wo ich eine Geschichte zum Thema »Es ist nicht alles Gold, was glänzt« vorlese.
    Jener Morgen hatte angefangen wie alle anderen, nur etwas später als sonst. Während der Prüfungszeit beginnt die Schule erst um neun und nicht um acht wie üblich. Das fand ich gut, denn ich stehe nicht gern früh auf. Für mich gibt es nichts Schöneres, als im Bett zu liegen und den Hähnen zu lauschen oder dem Gebetsruf des Muezzins.
    Anfangs versuchte an diesem Dienstag mein Vater, mich zu wecken. »Zeit zum Aufstehen, jani mun «, sagte er. Das heißt auf Persisch »Seelengefährtin«, und so nennt er mich immer zu Beginn eines Tages. »Nur noch ein paar Minuten, Aba «, bettelte ich und vergrub mich tiefer unter der bestickten Decke. Dann kam meine Mutter: »Zeit zum Aufstehen,
pisho !
« Sie nennt mich
Pisho,
das bedeutet »Katze«. Schläfrig griff ich nach der Uhr. Und schrie wie immer: » Bhabi, ich komme viel zu spät!« In unserer Kultur ist jeder Mann dein »Bruder« und jede Frau deine »Schwester«. So sehen wir uns gegenseitig. Als mein Vater seine Frau zum ersten Mal in die Schule brachte, sprachen alle Lehrer nur von der »Frau meines Bruders« oder
bhabi
. Dieser Name ist meiner Mutter geblieben. Wir nennen sie jetzt alle
bhabi
.
    Ich schlief in dem länglichen Raum, der nach vorne hinaus lag, und die einzigen Möbel waren ein Bett und eine Vitrine. Die hatte ich von einem Teil des Geldes gekauft, das mir ein Preis für meine Kampagne eingebracht hatte: Ich hatte mich für Frieden in unserem Tal eingesetzt und für Schulbildung für Mädchen.
    Auf den einzelnen Borden in der Vitrine standen die vielen goldfarbenen Plastikpokale, die ich gewonnen hatte, weil ich Klassenbeste geworden war. Nur zweimal hatte ich den ersten Platz nicht geschafft und war meiner Konkurrentin Malka-e-Noor unterlegen. Ich nahm mir fest vor, dass mir das nicht noch einmal passieren sollte.
    Die Schule lag nicht weit von meinem Zuhause entfernt. Früher ging ich zu Fuß, aber seit Anfang letzten Jahres nahm ich zusammen mit den anderen Mädchen eine Motor-Rikscha für die Hinfahrt und zurück den Bus. Die Fahrt dauerte nur fünf Minuten, an dem stinkenden Bach entlang, dann hinter der großen Reklametafel, die für Dr. Humayuns Institut für Haartransplantation warb. Wir witzelten gerade, einer von unseren glatzköpfigen Lehrern, dem plötzlich Haare sprossen, müsse wohl dorthin gegangen sein. Ich mochte die Busfahrt, weil ich so nicht ins Schwitzen geriet wie beim Gehen und weil ich mit meinen Freundinnen plaudern und mit Usman Ali schwätzen konnte, dem Fahrer, den wir
Bhai Jan
nannten, »Bruder«, und der uns mit seinen verrückten Geschichten zum Lachen brachte.
     
    Ich hatte angefangen, den Bus zu nehmen, weil meine Mutter sich Sorgen machte, wenn ich allein zur Schule ging. Wir sind das ganze Jahr über bedroht worden. Manche Drohungen waren Verlautbarungen in der Zeitung, manche geschriebene Mitteilungen, öfter aber von Leuten weitergegebene. Meine Mutter hatte Angst um mich, aber die Taliban hatten noch nie ein Mädchen geholt. Eher befürchtete ich, dass sie es auf meinen Vater abgesehen hätten, weil er gegen sie wetterte. Seinem guten Freund Zahid Khan hatte man im August auf dem Weg zum Gebet ins Gesicht geschossen, und ich wusste, dass alle Leute Vater warnten: »Sieh dich vor, du bist der Nächste.«
    Von der Straße am Fluss führte eine Treppe zu unserer Wohnstraße, die nicht mit dem Auto zu erreichen war. Ich stieg auf der tiefer gelegenen Straße aus dem Bus und ging allein durch das vergitterte Eisentor, die Stufen hinauf und unseren Weg entlang. Seit ich denken kann, bin ich eine Tagträumerin. Während des Unterrichts schweiften meine Gedanken zuweilen ab, und einmal stellte ich mir vor, auf dem Heimweg käme ein Terrorist und wollte mich auf dieser Treppe erschießen. Ich überlegte, was ich tun würde. Vielleicht meine Schuhe ausziehen und ihn schlagen? Dann aber dachte ich: Wenn es einer von den Taliban ist, würde ich dann handeln wollen wie er? Es wäre besser zu bitten: »Okay, erschieß mich, aber hör mir zuerst zu: Was du tust, ist unrecht. Ich bin nicht gegen dich. Ich will nur zur Schule gehen.«
    Ich bin nicht ängstlich, aber in letzter Zeit überprüfte ich immer, ob das vordere Tor abends abgeschlossen war. Zur selben Zeit hatte ich angefangen, Gott zu fragen,
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