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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Autoren: Malala Yousafzai
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was passiert, wenn man stirbt. Ich erzählte alles meiner besten Freundin Moniba. Seit der Grundschule waren wir befreundet, und alles hatten wir miteinander geteilt: Justin-Bieber-Songs, die
Twilight
-Saga, die besten Gesichtsaufhellungscremes. Moniba träumte davon, Modedesignerin zu werden, doch weil sie wusste, dass ihre Familie nie damit einverstanden sein würde, sagte sie allen, sie wolle Ärztin werden. In unserer Gesellschaft ist es schwer für Mädchen, einen anderen Beruf als den der Lehrerin oder Ärztin zu ergreifen, sofern sie überhaupt arbeiten dürfen. Im Gegensatz zu meiner Freundin verschwieg ich meine Wünsche nicht. Anfangs hatte auch ich Ärztin werden wollen, dann aber wechselte ich zu Erfinderin und Politikerin.
     
    Moniba spürte immer, wenn etwas nicht stimmte. So auch an diesem Tag. »Keine Sorge«, sagte ich zu ihr und wiederholte, wovon ich ausging: »Die Taliban haben noch nie ein kleines Mädchen geholt.«
    Als unser Bus gemeldet wurde, liefen wir die Treppe hinunter. Die Mädchen bedeckten das Gesicht, bevor sie aus der Tür traten und in den Bus stiegen, ich tat dies nicht.
    Der Bus war eigentlich ein Van, Dyna genannt, ein weißer Toyota TownAce mit drei langen Bänken, einer Bank an jeder Seite, die dritte in der Mitte. Der Van war gedrängt voll mit zwanzig Mädchen und drei Lehrkräften. Ich saß auf der linken Bank zwischen Moniba und Shazia Ramzan, einem Mädchen, das ein Jahr unter mir war. Die Schultaschen hatten wir unter unsere Füße gestellt, unsere Examensordner pressten wir an die Brust.
    Danach wird die Erinnerung schon ein wenig unklarer. Ich weiß noch, dass es im Innern des Toyota heiß und stickig war. Die kühleren Tage kamen in diesem Jahr spät, und nur die fernen Berge des Hindukusch hatten einen Zuckerguss aus Schnee. Hinten, wo wir saßen, hatte der Van keine Fensterscheiben, nur eine Plastikplane, die an den Seiten flatterte und so vergilbt und verstaubt war, dass man so gut wie nicht durchsehen konnte. Nur ein kleines Stück Himmel konnten wir erkennen, nur einmal erhaschten wir einen Blick auf die Sonne, zu dieser Tageszeit ein gelber Kreis, der im alles durchdringenden Staub zu schweben schien.
    Ich erinnere mich noch, dass der Bus wie immer am Militärkontrollpunkt von der Hauptstraße nach rechts fuhr, dann hinter dem verlassenen Kricketplatz um die Ecke bog. An mehr erinnere ich mich nicht.
    In meinen Träumen über die Schießerei befindet sich mein Vater ebenfalls im Bus. Er wird mit mir angeschossen, und dann sind da überall Männer, und ich suche nach meinem Vater.
    In Wirklichkeit hielten wir plötzlich an. Links von uns lag das Grabmal von Sher Mohammad Khan, dem Finanzminister des ersten Herrschers von Swat, das ganz von Gras überwuchert ist. Rechts sahen wir die Gebäckfabrik. Wir mussten etwa 200  Meter vom Kontrollpunkt entfernt sein. Wir konnten vorne nicht hinaussehen, doch ein junger bärtiger Mann in heller Kleidung war auf die Straße getreten. Er winkte dem Busfahrer zu, damit er anhielt.
    »Ist das der Bus von der Khushal-Schule?«, fragte er unseren Fahrer.
    Usman Bhai Jan hielt das für eine dämliche Frage, denn der Name war auf beiden Seiten des Vans aufgemalt. »Ja«, antwortete er deshalb knapp.
    »Ich brauche über einige Kinder eine Auskunft«, sagte der Mann weiter.
    »Dann gehen Sie doch ins Büro der Schule«, entgegnete Bhai Jan.
    Während er sprach, tauchte ein Mann an der Rückseite des Vans auf, ganz in Weiß gekleidet. »Guck mal, das ist bestimmt ein Journalist, der ein Interview von dir will«, sagte Moniba zu mir. Seit ich mich für das Recht auf Schulbildung für Mädchen engagierte, wurde ich immer wieder interviewt, sogar von Ausländern. Aber normalerweise passierte das nicht mitten auf der Straße.
    Der Mann trug eine traditionelle Wollkappe und hatte ein Taschentuch über Mund und Nase, als wäre er erkältet. Er sah aus wie ein College-Student. Dann schwang er sich über die Ladeklappe und beugte sich über uns.
    »Wer ist Malala?«, fragte er fordernd.
    Niemand sagte etwas, aber mehrere Mädchen sahen zu mir hin. Ich war die Einzige mit unverhülltem Gesicht.
    In diesem Moment hielt er eine schwarze Pistole hoch. Später erfuhr ich, es war ein Colt . 45 . Einige Mädchen schrien. Moniba sagt, ich hätte in diesem Moment ihre Hand gedrückt.
    Meine Freundinnen sagen, der Mann habe hintereinander drei Schüsse abgegeben. Die erste Kugel ging durch meine linke Augenhöhle und blieb dann neben der linken
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