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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Autoren: GABAL Verlag
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verwerfen und deine eigenen Vorstellungen zu kippen. Aushalten musst du auch, die Erwartungen der anderen zu enttäuschen.
Captain’s Decision
    Der strahlend blaue Himmel tut in den Augen fast schon weh. Die weißen Kumuluswolken sehen prall und kuschelig wie aufgeschüttelte Daunenkissen aus. Ein geniales Wetter für den lange verabredeten Flug mit meinen Freunden. Wir sitzen zu viert in der Cessna, Flughöhe 800 Meter. Um uns herum die gigantische Wolkenlandschaft. Wir fliegen von Mainz nach Friedrichshafen. Flugzeit etwa eineinhalb Stunden. Meine Freunde sind begeistert.
    Eine reine Sache des Zufalls, ob man mit einem Segler kollidiert oder nicht.
    Ich aber weiß, dass dieses Wetter auch seine Tücken hat. Kumuluswolken bedeuten Thermik, und Thermik heißt, dass eine Menge Segelflieger unterwegs sind. Vor allem jetzt am Wochenende. Die leichten Flugzeuge sind am Himmel nur schwer auszumachen. Die Dinger sind einfach nur schmal und weiß. Wenn du sie entdeckst, kann es bei 250 Stundenkilometern Fluggeschwindigkeit schon zu spät sein, um zu reagieren. Zusammenstöße passieren immer wieder. Ich will das Risiko nicht eingehen. Ich entscheide: Wir fliegen nicht zwischen, sondern über den hoch aufgetürmten Wolken.
    Auf 3000 Meter Höhe kreischt es dann im Sitz rechts hinter mir. Gesa, eine alte Freundin aus Studententagen, verzieht ihr Gesicht, fängt an zu jammern. Sie hat plötzlich starke Zahnschmerzen. Sie windet sich auf ihrem Sitz. Ihr Freund Markus beugt sich zu ihr und versucht sie zu beruhigen. Na super, das hat mir jetzt gefehlt, denke ich. Leichte Entzündungen am Zahn sind unten auf dem Erdboden noch nicht spürbar. In großer Höhe ist der Druck aber so gering – und kleine Passagiermaschinen wie unsere haben keine Kabine mit Druckausgleich –, dass der Zahn wie verrückt anfängt zu pochen und zu schmerzen.
    Meine Passagiere kennen sich aus und rufen: »Peter, geh sofort runter!« Sie haben ja recht, sobald wir wieder auf unserer früheren Reisehöhe wären, würde der Zahn vielleicht aufhören zu schmerzen. Meine Zunge fährt an meinen Zähnen entlang. Ich leide mit Gesa. Aber ich entscheide: Wir bleiben hier oben. Über den Wolken gibt es keine Segelflieger, unter den Wolken ist die Gefahr zu groß. Das gibt einen richtigen Aufstand hinter mir. »Mensch, Peter, das kannst du doch nicht machen. Siehst du denn nicht, was hier hinten los ist?« Markus und Richard reden auf mich ein, Gesa ist nur noch ein Häufchen Elend. Noch 55 Minuten bis Friedrichshafen. Aber Gesa muss das aushalten. – Und ich erst recht.
    Aushalten, dass deine Freunde sich in deine Entscheidung einmischen. Aushalten, dass sie sie in Frage stellen. Aushalten, dass sie sich querstellen. Aushalten, dass sie dich von deinem Vorhaben abhalten möchten. Diese Widerstände sind es, die Entscheidungen letztendlich schwer machen. Und schwer ist, nicht nur die Tatsache, dass du »Nein« sagen musst. Schwer ist die Erfahrung zu machen, dass deine bisherigen Mitstreiter sich von dir abwenden. Sauer werden. Dich vielleicht sogar anschreien. Das tut weh. Nicht weil Streit nicht schön ist, der Streit ist nur die Fassade. Der eigentliche Grund, warum wir ihn scheuen, ist nicht, dass es laut zugeht oder kracht. Der wahre Grund ist, dass wir uns auf einmal ausgeschlossen fühlen aus einer Gruppe, zu der wir bisher meinten fest dazuzugehören.
    Die Eltern, die so stolz sind, dass ihr Sohn Medizin studiert. Der Vorgesetzte, der nicht verstehen kann, warum man die Beförderung ausschlägt und lieber in eine andere Abteilung versetzt werden möchte. Die Ehefrau, die der Meinung ist, wir seien doch super-glücklich in unserem Einfamilienhaus mit Garten. Sie alle reden auf dich ein, manipulieren dich, versuchen, dich von deinem Vorhaben wieder abzubringen. Und du? Du hast keine Lust auf ewigen Streit. Du willst die Erwartungen anderer nicht enttäuschen.
    Aber wenn du entscheiden willst, was aus deinem Leben wird, musst du dich auch gegen deine engsten Freunde, gegen deine Familie und gegen deinen Chef durchsetzen. Das auszuhalten ist schwer. Aber wer hat denn gesagt, dass es leicht wird im Leben?
    Die Angst, seine bisherigen Investitionen in den Wind schießen zu müssen, die Bürde, sich auf ein neues Ziel einzulassen, die Sorge, sich und andere zu enttäuschen – das alles macht es dir so schwer, Entscheidungen zu treffen und dein Leben wenn nötig aus dem eingefahrenen Gleis herauszubrechen und in eine ganz andere Richtung zu hieven. Aber der
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