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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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aufgetischt, in dem steht, was immer er wissen will. Der stellvertretende Polizeichef Mullen sitzt daher jedem gewöhnlichen Cop im Nacken, ist aber auch unverzichtbar für Polizeichef Edward J. Tilgman, einen altgedienten Cop, der über drei Jahrzehnte hinweg ausreichend politisches Kapital ansammeln konnte, um seine Ernennung durch den Bürgermeister für eine fünfjährige Amtszeit zu sichern. Und in einer Stadt wie Baltimore, in der nur eine Partei das Sagen hat, ist das Amtszimmer des Bürgermeisters der Himmel auf Erden, ein Ort ungehemmter politischer Macht. Gegenwärtig sitzt dort ein gewisser KurtL. Schmoke, ein Schwarzer mit Yale-Abschluss, gesegnet mit einer überwiegend die Demokraten wählenden, überwiegend schwarzen Metropole. Natürlich darf der Polizeichef nur dann überhaupt Luft holen, wenn er die Bedürfnisse des Bürgermeisters erfüllt hat, der viel entspannter über seine Wiederwahl sinnieren kann, wenn Sein höchsteigenes Polizeipräsidium Ihn nicht mit Peinlichkeiten oder Skandalen belästigt, Ihm höchstpersönlich zu Diensten ist und im Interesse des Gemeinwohls das Verbrechen bekämpft – ungefähr in dieser Reihenfolge.
    Irgendwo unten in dieser Machtpyramide hockt der Detective des Morddezernats und brütet als Namenloser über einer zusammengeschlagenen Prostituierten oder einem zusammengeschossenen Dealer, bis eines Tages das Telefon zweimal blökt und es sich bei der Leiche um ein elfjähriges Mädchen, einen stadtbekannten Sportler, einen Pfarrer im Ruhestand oder einen Touristen aus einem anderen Bundesstaat handelt, der mit seiner Nikon um den Hals in ein Armenviertel spaziert ist.
    Red Balls – Morde, die zählen.
    In Baltimore steht und fällt das Schicksal eines Detectives mit den Red Balls, denn an ihnen wird deutlich, wer in dieser Stadt das Sagen hat und was die Leute von ihrer Polizei erwarten. All die Vorgesetzten, die kein Wort verloren, als im Drogenkrieg des Sommers 1986 bei den Sozialbauten der Lexington Terrace die Toten übereinanderfielen, schielen jetzt den Detective Sergeants über die Schulter und wollen alles wissen. Der stellvertretende Polizeichef will auf dem Laufenden gehalten werden. Der Bürgermeister will über den aktuellen Stand der Dinge informiert sein. Kanal 11 ruft auf Leitung zwei an. Irgendein Arschloch von der
Evening Sun
hängt in der Leitung, um mit Landsman zu sprechen. Wer ist dieser Pellegrini, der den Fall bearbeitet? Ein Neuer? Bringt er’s? Brauchen Sie Verstärkung? Oder mehr Überstunden? Ihnen ist doch klar, dass diese Sache oberste Priorität hat, oder?
    Als im Jahr 1987 in der Garage des Hyatt Hotels am Inner Harbor – jenem glitzernden Neubaugebiet im Hafenviertel, in dem Baltimore seine Zukunft sieht – um vier Uhr nachts zwei Parkwächter ermordet wurden, musste sich der Polizeichef am Nachmittag vom Gouverneur von Maryland anschnauzen lassen. Der ungeduldige, zu theatralischen Ausbrüchenneigende William Donald Schaefer gilt als einer der übellaunigsten Gouverneure von ganz Amerika. Schaefer, der seine Wahl in das höchste Amt Marylands zu einem nicht geringen Teil der Restaurierung des historischen Hafenviertels verdankte, stellte in einem kurzen Anruf klar, dass rund um den Inner Harbor niemand ohne seine Erlaubnis umgebracht werden dürfe und dieses Verbrechen auf der Stelle aufgeklärt werden müsse – was dann auch ziemlich schnell geschah.
    Ein Red Ball kann Zwanzig-Stunden-Tage und regelmäßige Berichte an die gesamte Befehlskette bedeuten; er kann zur Gründung einer Sonderkommission führen, was die Detectives aus ihrem normalen Schichtdienst reißt und zur Folge hat, dass die Bearbeitung anderer Fälle auf unbestimmte Zeit in den Hintergrund gerät. Führen ihre Bemühungen zu einer Festnahme, haben der Detective, sein Sergeant und ihr Schichtleiter eine Weile Ruhe – bis zum nächsten großen Fall. Ihr Captain hat nicht länger den Colonel im Nacken, und der Colonel muss sich nicht mehr sorgen, vom stellvertretenden Polizeichef in die Pfanne gehauen zu werden, weil der nun gerade mit dem Rathaus telefoniert und dem Bonzen von Baltimore erklärt, dass in Harbour Town alles in Ordnung ist. Bleibt ein Red Ball jedoch ungelöst, entsteht der entgegengesetzte Effekt – Colonels treten Majors in den Hintern, Majors den Captains, und der Detective und sein Sergeant sind in der Pflicht, in langen Berichten zu erklären, warum einer, den der Colonel für einen Verdächtigen hält, nie wegen Widersprüchen in seiner
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