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Home - Wieder zu Hause

Home - Wieder zu Hause

Titel: Home - Wieder zu Hause
Autoren: Cardeno C.
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man ihn nicht sehen könnte. Natürlich ist der Mann nicht unsichtbar. Aber sein Wesen und seine Persönlichkeit sind so mächtig, dass man keine Augen braucht, um ihn zu sehen. Jedenfalls ging es mir so. Er rief in mir eine so allumfassende, intensive Reaktion hervor, dass es für mich nur noch ihn gab.
    Ich weiß, wie es sich anhört, wenn man einen Menschen als wild, chaotisch und von allen Seiten kommend beschreibt – als sei er unstet, ohne Richtung und Ziel. Aber so ist Noah ganz und gar nicht. Irgendwie schafft er es, gleichzeitig wild und frei, aber auch engagiert und selbstsicher zu sein. Und er hat sich mir von Anfang an anvertraut, gleich in dem Moment, als wir uns das erste Mal sahen. Damals war ich siebzehn und Noah war dreizehn.
     
     
    M EINE Mutterund ich waren erst in diesem Jahr nach Emile City gezogen, um in der Nähe meiner Tante und meines Onkels zu leben. Sie sollten sich um mich kümmern, falls sie vor meinem achtzehnten Geburtstag sterben würde. Oh ja, habe ich erwähnt, dass ich in diesem Jahr meine beste Freundin verlieren würde? Und damit meine ich meine Mutter. Sie war meine beste Freundin, so wie ich ihr bester Freund war.
    Ich habe meinen Vater nie kennengelernt und das hat mich nie gestört. Meine Mutter und ich standen uns sehr nahe. Es hatte immer nur uns beide gegeben. Ich dachte nie viel über meinen Vater nach und wenn ich nach ihm fragte, sagte meine Mutter nur Vorteilhaftes über ihn. Er sei ein netter Mann gewesen, ernsthaft, klug und gutaussehend, mit den gleichen blauen Augen wie ich sie von ihm geerbt habe. Sie hatten sich noch nicht lange gekannt, als sie schwanger wurde. Und als sie es bemerkte, hatten sie sich bereits wieder getrennt. Es war eine freundschaftliche Trennung, so wie bei allen Beziehungen, die meine Mutter jemals eingegangen war. Niemand konnte ihr lange böse sein.
    Sie hatte noch darüber nachgedacht, ihm von mir zu erzählen. Aber da hatte er die Stadt schon verlassen und war auf der Suche nach grüneren Weiden. Er hatte ihr immer gesagt, er wolle irgendwann heiraten und eine Familie gründen. Also wollte sie sein Leben nicht unnötig durcheinanderbringen. Sie war vierzig Jahre alt, hatte einen guten Job als Kuratorin in einem Kunstinstitut und hatte schon immer ein Kind gewollt. Also beschloss sie, mich zu behalten. Ihrer Meinung nach war ich ihre Verantwortung, nicht die meines Vaters.
    Sie hätte nie etwas dagegen gehabt, dass ich nach ihm suche. Aber ich war einfach nicht daran interessiert. Dafür war irgendwann später noch Zeit, wenn auch nur, um zu sehen, was er für ein Mensch war und um ihm zu sagen, dass er einen Sohn hat. Dann kam der Tag, an dem die Ärzte bei ihr fortgeschrittenen Gebärmutterkrebs diagnostizierten. Während der Chemotherapie konnte ich ihr nur noch die Hand halten und hoffen, dass sie vielleicht eine der wenigen Ausnahmen sein würde, die diese Krankheit überlebten.
    Meine Mom war zierlich, nur wenig mehr als einsfünfzig groß und keine vierzig Kilo schwer. Da ich außer den blauen Augen auch die Größe meines Vaters geerbt habe, überragte ich sie schon, als ich gerade sechzehn Jahre alt war. Als sie mir von der Diagnose erzählte, saßen wir auf der lila Kunstleder-Couch in unserem kleinen Haus am Strand, hielten uns in den Armen und weinten. Als uns die Tränen und die Taschentücher ausgingen, sagte sie, wir müssten jetzt umziehen. Sie wollte mich in der Nähe von Menschen wissen, die sich um mich kümmerten, falls sie nicht lange genug leben würde.
    So war meine Mom, immer ehrlich und direkt. Sie beschönigte nichts und behandelte mich nie wie ein Kind. Wir wussten beide, dass ihre Überlebenschancen gering waren und sie hätte nie meine Intelligenz beleidigt, indem sie das Gegenteil behauptete. Ich liebte und schätzte sie dafür. Trotzdem hätte ich am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt und so getan, als sei sie nicht krank, als würde sie nicht sterben und mich allein lassen.
    An diesem Tag auf der Couch fragte mich meine Mutter, ob ich lieber meinen Vater suchen oder mit ihr zu ihrer Schwester nach Emile City ziehen wolle. Weil ich kein großes Interesse an meinem unbekannten Vater hatte, entschied ich mich für Emile City. Ich konnte nicht ahnen, was mich dort erwarten würde. Und damit meine ich nicht meine Tante und meinen Onkel. Ich meine Noah.
     
     
    W IR kamen mitten im Schuljahr in Emile City an, aber ich holte den Unterrichtsstoff schnell auf. Es fiel mir nicht sehr schwer und auch sozial
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