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Höhenangst

Titel: Höhenangst
Autoren: Nicci French
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hier«, sagte ich zu den Männern.
    Wieder fingen sie an zu schaufeln. Wir warteten schweigend. Nur die dumpfen Spatenstiche und das angestrengte Atmen der Männer waren zu hören. Nichts.
    Da war nichts, nur grobe rötliche Erde und kleine Steine.
    Wieder hielten sie inne und sahen mich an.
    »Bitte«, sagte ich mit belegter Stimme. »Bitte graben Sie noch ein bißchen weiter.« Ich drehte mich zu Detective Paget um und legte die Hand auf ihren Arm. »Bitte!« sagte ich.
    Sie runzelte nachdenklich die Stirn, bevor sie mir antwortete. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
    »Wir könnten hier noch eine ganze Woche weitergraben.
    Wir haben gegraben, wo Sie gesagt haben, und wir haben nichts gefunden. Es ist Zeit, damit aufzuhören.«
    »Bitte!« Mir versagte die Stimme. »Bitte!« Ich bettelte um mein Leben.

    Paget stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Also gut«, sagte sie endlich und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Zwanzig Minuten noch, dann hören wir auf.«
    Mit einer Handbewegung forderte sie die Männer zum Weitergraben auf. Während die beiden sich wieder an die Arbeit machten, gaben sie Grunzlaute und sarkastische Kommentare von sich. Ich ging ein paar Schritte und ließ mich so auf dem Boden nieder, daß ich ins Tal hinunterblicken konnte. Das im Wind wogende Gras erinnerte mich an das Meer.
    Plötzlich hörte ich hinter mir aufgeregtes Gemurmel. Ich sprang auf und rannte zu den anderen hinüber. Die Männer hatten zu graben aufgehört. Sie knieten neben dem Loch und schoben die Erde mit den Händen beiseite. Ich kauerte mich neben sie. Die Erde wirkte plötzlich dunkler, und ich sah aus dem Boden die Knochen einer Hand herausragen, als wollte sie uns winken.
    »Das ist sie!« rief ich. »Es ist Adele! Sehen Sie, o sehen Sie nur!« Dann begann ich ebenfalls in der Erde herumzuwühlen, obwohl ich vor Tränen fast blind war. Ich wollte die Knochen halten, in meinen Armen wiegen, die Hände um den Kopf legen, der langsam zum Vorschein kam, und meine Finger durch die leeren Augenhöhlen stecken.
    »Fassen Sie nichts an!« sagte Paget und zog mich zurück.
    »Aber ich muß!« heulte ich. »Sie ist es! Ich habe recht gehabt. Sie ist es!« Beinahe wäre ich es gewesen, hätte ich am liebsten gesagt. Wenn wir sie nicht gefunden hätten, wäre ich die nächste gewesen.
    »Das ist Beweismaterial, Mrs. Loudon«, sagte sie streng.
    »Das ist Adele«, wiederholte ich. »Es ist Adele, und Adam hat sie umgebracht.«

    »Wir wissen nicht, wer sie ist«, entgegnete sie. »Es werden eine Reihe von Tests durchgeführt werden müssen, um die Leiche zu identifizieren.«
    Ich blickte auf die Knochen hinunter, die bereits freigelegt waren. Die ganze Spannung wich aus meinem Körper, und ich fühlte mich nur noch müde und traurig.
    »Das arme Ding«, sagte ich. »Die arme Frau. Mein Gott!
    O mein Gott!«
    Erst als Detective Paget mir ein großes Papiertaschentuch reichte, wurde mir bewußt, daß ich weinte.
    »Sie hat etwas um den Hals, Detective«, sagte der dünne Mann.
    Ich faßte an meinen eigenen Hals.
    Er hielt einen schwarzen Draht hoch. »Ich glaube, es ist eine Halskette.«
    »Ja,« sagte ich. »Ein Geschenk von ihm.«
    Sie drehten sich alle um und starrten mich an. Diesmal schenkten sie mir wirklich ihre Aufmerksamkeit.
    »Hier.«
    Ich nahm meine schimmernde Silberkette ab und legte sie neben ihr geschwärztes Pendant.
    »Adam hat sie mir geschenkt. Als Zeichen seiner Liebe, seiner unsterblichen Liebe.«
    Ich berührte die silberne Spirale. »Diesen Anhänger werden Sie auch an ihrer Kette finden.«
    »Sie hat recht«, sagte Detective Paget. Die andere Spirale war schwarz und mit Erde verklebt, aber es war trotzdem unverkennbar, daß es sich um das gleiche Schmuckstück handelte. Lange Zeit sagte niemand ein Wort. Die drei sahen mich an, während ich in das Loch hinunterstarrte, in dem Adeles Leiche lag.

    »Wie haben Sie gesagt, war ihr Name?« fragte Detective Paget schließlich.
    »Adele Blanchard.« Ich rang nach Luft. »Sie war Adams Geliebte. Und ich glaube …« Ich fing wieder zu weinen an, aber diesmal weinte ich nicht meinetwegen, sondern Adeles, Taras und Françoises wegen. »Ich glaube, sie war eine sehr nette Frau. Eine wunderschöne junge Frau. Oh, es tut mir so leid, es tut mir so leid!« Weinend vergrub ich das Gesicht in meinen schmutzigen Händen. Ich spürte die Tränen zwischen meinen Fingern.
    PC Mayer legte mir den Arm um die Schulter.
    »Wir bringen Sie nach Hause.«
    Aber wo war ich jetzt noch zu
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