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Höhenangst

Höhenangst

Titel: Höhenangst
Autoren: Lindsay Gordon
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derart einfache Dinge reduziert hat, wird jede Aktion wichtig. Die Bewegung meiner Handgelenke. Der Druck des Spülbeckens gegen meinen Solarplexus. Wasserfontänen, die im Schwall über Arme und Ellbogen laufen, über die Kante spritzen, meine Beine hinablaufen und zu meinen Füßen eine Pfütze bilden. Ich bringe es aber auch fertig, mich stundenlang zu duschen und das Wasser auf meinen Kopf trommeln zu lassen. Damit ich später gut für ihn dufte, wasche ich mich sorgfältig mit Rosenöl zwischen den Beinen.
    So verbringe ich meine Zeit, beobachtend und begierig auf ihn wartend.
    Abends, wenn das gleißende Tageslicht zu weicheren gelben und grünen Farben wechselt, kommt er zurück. Beladen mit Aktenkoffern, zugeknöpftem Hemdkragen und dem Geruch nach Stadt und Abgasen. Eine Welle der Unruhe kracht in die Stille des Hauses, das auf ihn wartet. Und ich natürlich, mit meinem langsam anschwellenden Körper und von Tag zu Tag blasser und empfindlicher werdend.
    Heute Abend zittere ich ein wenig bei dem Gedanken, wie er aufgedreht und hungrig nach einem langen Tag da draußen sein wird. Meine Handflächen schwitzen.
    Was wird er mir heute Abend mitbringen? Einen neuen Film, ein Spielzeug? Er sieht mich an, auf seinem Gesicht zeichnet sich ein entschlossener Ausdruck ab.
    Du weißt, wie du ihn herausforderst. Wie du ihn immer noch mehr reizt. Du musst jedes Mal ein Stückchen weitergehen. Ein wenig härter, ein wenig heißer. Wir umkreisen einander wie das Hochwasser einen Pegelstab und beobachten die Reaktionen des Anderen. Wir versuchen, seinen nächsten Schritt vorauszusehen.
    Aber ich hätte dies hier nie voraussehen können.
    Ich dachte, wir würden uns unserem dunklen Universum ergeben, unsere Kleider mit Speichel und Sperma zusammenweben, mit unseren Körpern zusammenkleben, unsere Glieder ineinander schlingen, die Gedanken miteinander vernetzen.
    »Du brauchst einmal eine Überraschung«, sagt er nur.
    Um eine Sache aufzufrischen, musst du wieder Herzklopfen und einen rasenden Puls bekommen, musst du die Regeln verändern. Deshalb hat er uns hierher gebracht. Hat mich hierher gebracht. Nach draußen.
    Der scharfe Geruch von Pinien-Desinfektionsmitteln auf dem Flur. Der Aufzug, das Würgen in meinem Magen, als wir nach unten fahren. Seine finstere Anwesenheit neben mir, während er mich festhält. Meine weißen Fingerknöchel, das Zittern meiner Schultern, wenn ich versuche zu atmen. Die Türen, die lautlos auseinandergleiten, teilnahmslos, als wenn sie nicht von meiner momentanen Freilassung betroffen wären. Die Luft fühlt sich so süß an, dass ich fast weinen möchte, und ich bereite mich darauf vor, auf die Knie zu fallen und den wiedergewonnenen Boden unter mir zu fühlen. Aber er hält nicht an, sondern zieht mich weiter zum Auto, das er in der Nähe geparkt hat.
    Nach zwanzig Wochen Teppichboden unter den Füßen fühle ich jetzt die Kieselsteine. Ich glaube, über heiße Kohlen zu laufen. Der Himmel – der Himmel über uns gleicht einem unvorstellbaren Gewölbe. Die Stadt pulsiert in alle Richtungen, voller neugieriger Augen und schneller Bewegungen. Kinder und Ladenbesitzer, Verkehrsgewühl auf den Straßen, Warnlichter und aufdringliche Neonschilder verwirren mich.
    Er hält meine kalte, erstarrte Hand. Besitzergreifend. Er hat die Führung. Zunächst erscheint mir das Auto wie ein sicherer Hafen, eine kleine intime Dose, wo sich unser Atem mit der angenehmen Wärme mischt. Bis ich feststelle, wohin die Fahrt geht.
    Wir verlassen die Stadt. Passieren all die Parzellen mit Häusern und Straßen mit all ihren Schicksalen, die ich nicht kenne. Wir winden uns die steilen Steigungen der Berge im Süden der Stadt empor. Im niedrigen Gang benimmt sich der Motor so widerborstig, als ob das Auto ebenso wenig wie ich unser Ziel erreichen will.
    Der Parkplatz im Himmel . Klingt doch irgendwie romantisch, oder? Das hatte ich auch gedacht, bis ich hörte, dass sich dort die einheimischen Möchtegern-Rennfahrer zu ihren Wettrennen treffen. Man hat von dort oben einen wunderbaren Blick. Die ganze Stadt breitet sich wie ein graues Geröllfeld aus, und nachts wirkt ihre Beleuchtung hypnotisierend.
    Aber diese Typen – diese bekifften Typen in ihren Autos mit den geschlossenen Scheibe, die sich von den Mädchen, die sie in der Stadt aufgegabelt haben, einen runterholen lassen und anschließend ihre leeren Bierdosen und benutzten Kondome auf dem Asphalt verstreuen. Der graue Rauch ihrer hastig inhalierten Joints
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